Im letzten Jahr haben wir 321 Pushback Fälle in der Ägäis verzeichnet (mehr dazu in unserem Jahresbericht). Diese illegale und herabwürdigende Praxis bei der Fliehende in der Regel auf dem Meer ausgesetzt werden, ist 2020 zum Standardverfahren der griechischen und europäischen Behörden geworden. Es ist demnach zwar wenig überraschend, aber dennoch alarmierend, dass sich dies in den ersten zwei Monaten des Jahres 2021 nicht geändert hat. Die erhöhte mediale Aufmerksamkeit, unzählige Berichte und Ermittlungen gegen Frontex scheinen zumindest die griechische Küstenwache nicht zu stören.
Im Januar 2021 haben wir 10 Pushbacks, in denen 170 Menschen illegal zurückgedrängt wurden, gezählt. Im Februar hat sich die Zahl der Pushbacks verdoppelt und die der involvierten Personen sogar verdreifacht. Es gab 20 Fälle in denen 524 Menschen auf dem Meer ausgesetzt wurden. Im Vergleich dazu erreichten laut griechischen Behörden insgesamt 456 Flüchtende die ägäischen Inseln Lesbos, Kos und Chios in den ersten Monaten des Jahres. Bei ungefähr der Hälfte der Pushbacks wurden Rettungsinseln genutzt, mit deren Hilfe Flüchtende auf dem Meer zurückgedrängt und schließlich in türkischen Gewässern ausgesetzt wurden. Alle 694 zurückgedrängten Menschen wurden aktiv in Lebensgefahr gebracht, ihnen wurde das Grundrecht auf Asyl und die Einreise nach Europa durch diese traumatisierende physische und psychische Gewalt verweigert. Vor allem 2 Pushback Fälle der letzten Wochen fallen durch ihre unfassbare Grausamkeit auf:
Am 27. Januar wurden 4 Personen aus Palästina und Somalia von Chios zurückgedrängt. Sie waren bereits im Lager Viale, wurden jedoch nicht registriert, sondern zunächst von der Polizei in ein Gebäude, vermutlich zu Quarantänezwecken, gebracht und anschließend von maskierten Männern auf ein Boot gebracht. Unter der Anwendung von viel Gewalt auf dem Boot, wurden die Geflüchteten in die Nähe einer kleinen Insel (Fener Adasi, Türkei) gebracht und dort mit Rettungswesten ins Wasser geworfen. Sie erreichten die Insel, die eher ein Felsen im Meer ist und warteten dort 3 Tage lang ohne Essen oder Wasser, bis die türkische Küstenwache sie fand. Einer der Geflüchteten versuchte mit einem selbstgebauten Floß Hilfe zu holen und wurde dabei von einer griechischen Fähre entdeckt. Einen detaillierten Bericht zu dem Fall hat das Border Violence Monitoring Network veröffentlicht.
Am 17. Februar kamen 13 Flüchtende, unter ihnen 5 Kinder, im Norden von Lesbos an und meldeten sich im nahegelegenen Quarantänelager Megala Therma. Die Polizei brachte sie zu einem Container in der Nähe der Küste. Von dort brachten maskierte Männer die Gruppe unter Anwendung massiver Gewalt in einen Hafen und anschließend auf ein Boot. Sie wurden dann in türkische Gewässer gebracht und in einer Rettungsinsel ausgesetzt. Am nächsten morgen fand die türkische Küstenwache die Rettungsinsel. Einen detaillierten Bericht zu diesem Fall hat Aegean Boat Report veröffentlicht.
Neben der strukturellen Gewalt, die die Abschottungspolitik des europäischen Grenzregimes per se innehat, werden Geflüchtete bei brutalen Pushbacks, wie sie an fast allen Außengrenzen durchgeführt werden, mit einer enormen physischen und psychischen Gewalt konfrontiert. Menschenrechtsverletzungen und Grenzgewalt prägen Europas Migrationspolitik. Wir fordern, dass nicht nur Griechenland, sondern ganz Europa sich der Verantwortung stellt, Menschenrechtsverbrechen aufklärt und sichere und legale Fluchtwege schafft.