In den nächsten Monaten soll auf Lesbos ein Closed Control Access Centre (CCAC) eröffnet werden. Es handelt sich dabei um ein weiteres Lager, das von Stacheldrahtzäunen und Betonmauern umgeben ist, rund um die Uhr überwacht wird und weit entfernt von der Stadt liegt.

“Die Hölle von Moria” – so wurde das ehemals größte Geflüchtetencamp in Europa und Symbol der grausamen europäischen Abschottungspolitik, von vielen seiner Bewohner:innen bezeichnet. “Hölle” wegen der grausamen Lebensbedingungen, der systematischen Entmenschlichung seiner Bewohner:innen und der politisch gewollten Überfüllung des Camps. Es ist 2,5 Jahre her, dass das Lager niedergebrannt ist. “No More Morias” war die Forderung von Migrant:innen, Politiker:innen, Aktivist:innen und Anwohner:innen der Insel nach dem verheerenden Brand im September 2020. Griechenland rief den Notstand aus und setzte das Militär ein, Solidaritätsmärsche in ganz Europa wurden organisiert und Millionen von Euro an Spenden gingen an Hilfsorganisationen auf den griechischen Inseln. Schätzungsweise 20.000 Menschen waren nach dem Brand gezwungen, auf der Straße zu schlafen. Nach einiger Zeit wurden die Menschen in das neu errichtete Lager Mavrovouni gebracht, das eine vorübergehende Lösung darstellen sollte. Seitdem hat die öffentliche Aufmerksamkeit für die Situation auf Lesbos und den griechischen Inseln deutlich nachgelassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Lage für die Menschen auf der Flucht in Griechenland verbessert hat oder dass weniger Menschen versuchen die Ägäis zu überqueren. Die Zahl der Todesopfer in der Ägäis ist deutlich gestiegen. Das Jahr 2022 war das tödlichste Jahr im östlichen Mittelmeer seit 2016.

Eskalation der Gewalt an den Grenzen

Seit 2020 nehmen die Gewalt an den Grenzen, die systematische Kriminalisierung und die Repression in Griechenland kontinuierlich zu. Illegale Pushbacks von Schutzsuchenden auf See und von Land aus unter Einsatz von Demütigung, Gewalt und Folter durch die griechischen Behörden sind zum neuen Modus Operandi geworden. Die wenigen Menschen, denen es gelingt, die griechischen Inseln zu erreichen, werden systematisch kriminalisiert. Abseits der Öffentlichkeit und ohne Zugang zu angemessenem Rechtsbeistand und Unterstützung werden jedes Jahr Hunderte Menschen wegen angeblichen Schmuggels verurteilt. Gleichzeitig haben mehrere repressive Reformen und Gesetze den Zugang zu Asyl und die Aktivitäten von Solidaritätsstrukturen in Griechenland erheblich eingeschränkt. Die griechischen Behörden versuchen kritische Stimmen von Migrant:innen, Solidaritätsstrukturen und Journalist:innen zum Schweigen zu bringen, indem sie sie zunehmend angreifen und einschüchtern.

Gefängnislager als integraler Bestandteil des Krieges gegen Migration

Obwohl seit dem Brand von Moria Verbesserungen versprochen wurden, ist die Art und Weise, wie Griechenland unterstützt durch die EU schutzsuchende Menschen unterbringt, zutiefst unmenschlich und gewalttätig. Diese Gewalt wird immer weiter unsichtbar gemacht. Fünf neue “geschlossene” Lager auf den Ägäischen Inseln sind Teil des Krieges gegen Migration. In den Jahren 2020 und 2021 erhielt Griechenland 276 Millionen Euro von der Europäischen Kommission für den Bau von fünf neuen Lagern auf den Inseln Leros, Samos, Kos, Chios und Lesbos. Im September 2021 wurde das erste sogenannte “Closed Controlled Structure”-Aufnahmezentrum auf Samos eröffnet. Es folgten die Lager auf Kos und Leros. Im April 2023 soll ein viertes Lager dieser Art auf der Insel Lesbos eröffnet werden.

Das angebliche Ziel der Errichtung dieser Lager ist, Unterkünfte für Schutzsuchende zu errichten die “EU-Standards” entsprechen – um das Entstehen eines neuen Morias zu verhindern. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesen neuen Lagern um Strukturen für eine abgeriegelte Unterbringung von Migrant:innen in entlegenen Gebieten, die von der lokalen Infrastruktur abgeschnitten sind. Die Lager sind von hohen Stacheldrahtzäunen umgeben. Es gibt Wachtürme, Sicherheitspersonal patrouilliert 24 Stunden am Tag innerhalb und außerhalb des Lagers. Es werden Überwachungstechnologien wie Röntgenscanner, Kameras an Ein- und Ausgängen, Drohnen, Drehkreuze mit Chipkarten und Kameras mit Bewegungsanalyse eingesetzt.

Die Menschen in den Lagern haben keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Bildung, Rechtsbeistand, medizinischer Versorgung und kein Recht auf Privatsphäre und Selbstorganisation, sondern sind willkürlichen Kontrollen mit Gewalt durch Sicherheitspersonal und Poliziste:innen ausgesetzt. Offiziell können die Bewohner:innen die Lager mit einer Chipkarte, der so genannten Asylkarte, zwischen 08:00 und 20:00 Uhr verlassen. Es gibt jedoch Berichte über willkürliche Ausgangsbeschränkungen auch innerhalb dieser Zeiten. Im Lager auf Samos dauert das Registrierungsverfahren einschließlich des Zugangs zu einer Asylkarte für Neuankömmlinge bis zu 25 Tage. Während dieser Zeit werden die Menschen faktisch festgehalten. Die EU-Kommission hat Griechenland deswegen bereits gedroht wegen Verstößen gegen das Asylrecht Klage einzureichen. Berichten zufolge gibt es in den Lagern auch Abschiebegefängnisse, sogenannte “Prokekas”. Dort können Menschen bis zu 18 Monate lang festgehalten werden, wenn sie abgeschoben werden sollen.

Etwa ein Jahr nach der Eröffnung des Lagers auf Samos warnte Ärzte ohne Grenzen (MSF) vor gravierenden gesundheitlichen Folgen für die Bewohner:innen. Die gefängnisähnliche Lagerstruktur sei nicht in der Lage, traumatisierten Menschen eine Grundversorgung zu bieten und füge ihnen daher physischen und psychischen Schaden zu. Zudem fehle der Zugang zu medizinischer Versorgung, da medizinisches Personal nur für eine begrenzte Anzahl von Stunden pro Tag im Lager anwesend ist. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen leiden alle Menschen im CCAC Samos an psychischen Problemen, die durch die schlechten Lebensbedingungen und die mangelnde Versorgung verstärkt sowie verursacht werden.

Lager als Nährboden für Menschenrechtsverletzungen

Das neue Lager Vastria auf Lesbos bietet Platz für bis zu 5.000 Menschen. Es liegt etwa 40 Kilometer von Mytilene entfernt, mitten im Wald. Ähnlich wie bei den anderen Lagern gibt es in der Nähe keine relevante Infrastruktur, nur die größte Mülldeponie der Insel. Schon der Standort des neue Lagers zeigt, wie Migrant:innen auf Lesbos behandelt werden: Sie sind unerwünscht, werden nicht akzeptiert und ausgegrenzt! Das Gebiet ist im Sommer stark durch Waldbrände gefährdet. Im Falle eines Brandes wäre eine schnelle Evakuierung aller Menschen im Lager wahrscheinlich fast unmöglich. Darüber hinaus wurde der Bau der Hauptzufahrtsstraße aus Umweltschutzgründen gerichtlich gestoppt. Der Bau des Lagers jedoch nicht. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass das CACC Lesbos nur über eine unbefestigte Straße erreichbar sein wird. Dadurch wird es schwieriger, die Menschen im Notfall aus dem Lager zu evakuieren.

Durch die repressiven Gesetze aus den Jahren 2020 und 2021 über die Zertifizierung und Registrierung von NGOs im Bereich Asyl und Migration, haben die griechischen Behörden die vollständige Kontrolle darüber, welche Organisationen in den Lagern arbeiten dürfen und welche nicht. Immer wieder wird Journalist:innen und Reporter:innen der Zugang verweigert, während die Bewohner:innen die Lager oft nicht selbstbestimmt verlassen dürfen. Der fehlende Zugang zu den Lagern für externe und unabhängige Beobachter:innen schränkt die Möglichkeiten ein, mögliche Vorfälle zu untersuchen und darüber zu berichten. Dies führt dazu, dass in den Lagern ein Nährboden für Menschenrechtsverletzungen entsteht, die weder geahndet noch dokumentiert werden. Auch können Beweise schneller vertuscht oder Menschen davon abgehalten werden, Zeug:innenaussagen zu machen. Da die Lager von der Außenwelt isoliert sind, kann es für Opfer oder Zeug:innen schwierig sein, sich sicher zu fühlen und Vorfälle oder Verstöße zu melden. Dies macht die neuen geschlossenen Lager zu einer Blackbox, denn es wird immer schwieriger, systematische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in den Lagern zu dokumentieren und damit auch zu verhindern.

Ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben zu führen ist ein Menschenrecht, das in Lagern nicht verwirklicht werden kann. Deshalb können auch vermeintliche Verbesserungen der Lebensbedingungen keine langfristige Lösung sein. Wir müssen die Bewohner:innen der Lager auf den Inseln und dem Festland mit politischen Solidaritätsaktionen unterstützen, denn niemand sollte unter diesen Bedingungen leben müssen.

Mare Liberum i. A.

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