Lager im Lockdown
Seit März, sind die wichtigsten Lager auf den griechischen Inseln aufgrund von COVID-19 im Lockdown.1 Während die Beschränkungen für Einheimische gelockert und die Grenzen für Tourist:innen geöffnet wurden, ist die Ein- und Ausreise aus den meisten Lagern noch immer eingeschränkt und wird zumindest bis Ende August begrenzt bleiben.
“Die unsichtbaren Inseln”
Die Situation in den Lagern auf Kos und Leros ist etwas speziell, da es sich um weitgehend “geschlossene” Lager handelt. Da die Lager und die Inseln, die sie beherbergen, viel kleiner sind, gibt es weniger Solidaritätsnetzwerke und sehr wenig Informationen über die aktuelle Situation. Diesen Lagern wird im Verhältnis zu Lesbos, Samos und Chios auch nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es gibt Berichte aus Kos und Leros, dass Migrant:innen, die in der Peripherie dieser Lager leben, zu Beginn der Pandemie gezwungen wurden, in offizielle Lagerstrukturen zu gehen. Ähnlich wie in anderen Lagern wurden auch hier Internierung angeordnet, und viele Menschen befürchten, dass diese außerordentlichen Maßnahmen nicht aufgehoben werden, wenn die Pandemie vorüber ist.2
Während Kontrolle und Einschränkungen im Namen der öffentlichen Gesundheit zugenommen haben, werden Geflüchtete weiter durch Unterdrückung und Entmündigung beeinträchtigt. Neben der täglichen strukturellen Gewalt seitens der Behörden während der Abriegelung sind die in den Lagern lebende Menschen auch vermehrt mit Gewalttaten konfrontiert, insbesondere im Zusammenhang mit sexueller Gewalt gegen Frauen.3
Ereignisse während COVID-19-Pandemie
In Chios starb am 18. April eine 47-jährige Frau aus dem Irak in Quarantäne. Ihr Tod und die damit verbundenen Gerüchte führten zu einem Aufstand im Lager. Die Lagerbewohner:innen machten die unzureichende medizinische Versorgung für den Tod der Frau verantwortlich, was zu Protesten gegen die unwürdigen Lebensbedingungen im Lager führte. Während des Protests wurden Teile des Lagers angezündet.4 Ein weiterer Brand ereignete sich am 26. April auf Samos im Vathy-Lager. Während der Grund oder die Ursache unklar bleibt, zerstörten die Flammen Teile des Lagers.5
Es gibt Berichte aus dem Hotspot Vial auf Chios, dass seit dem 31. Juli Maskenpflicht besteht und das Nichttragen einer Maske mit einer Geldstrafe von 150 Euro geahndet wird.6 Laut einer Quelle auf Twitter werden im Lager keine Masken zur Verfügung gestellt, was die Frage aufwirft, wer sich Masken leisten oder sie unter dem Lockdown in der Stadt überhaupt kaufen kann.
Ankünfte
Seit März gab es außer auf Lesbos nur sehr wenige ankommende Boote auf den Inseln. Der Aegean Boat Report listet nur 39 Personen auf, die mit zwei Booten auf Samos landeten, keines auf Chios, Kos und Leros und 46 auf anderen Inseln.7 In der Zwischenzeit sind über 800 Menschen auf Lesbos gelandet, seit Griechenland den Lockdown ausgerufen hat.
Push-backs
Ohne eine starke Zunahme der Push-backs wäre die Zahl der Menschen, die auf den Inseln landen, jedoch viel höher. Es scheint, dass die griechische Küstenwache COVID-19 als Vorwand benutzt, um gefährlichere und striktere Abschottungsstrategien zu testen und umzusetzen. Abgesehen von Lesbos (85) gab es zwischen März und Juli 2020 65 Berichte über erfolgreiche Push-backs von den kleineren griechischen Inseln. Die meisten von ihnen geschahen in der Nähe von Samos (19) und Kos (20), Simi (11), Kastellorizo (6), Chios (5) und Rhodos (4).
So kam es beispielsweise am 27. Juli zu einem Push-back vor Chios durch die griechische Küstenwache LS-611, die auf Chios stationiert ist. Die Küstenwache wurde dabei ertappt, wie sie den Treibstoff stahl und das Boot zurück in türkische Gewässer schleppte. Dort ließen sie es treiben, bis es von der türkischen Küstenwache aufgegriffen wurde.8
Darüber hinaus trafen am 23. und 24. Juli mindestens 90 Personen auf der Insel Rhodos ein. Sie wurden von der griechischen Regierung nie registriert und “verschwanden” plötzlich wieder. Sie kamen nie in den Lagern auf Leros und Kos an, wohin die auf Rhodos ankommenden Menschen normalerweise geschickt werden.9 Stattdessen tauchte das Boot, mit dem sie auf Rhodos ankamen, 3 Tage später in türkischen Gewässern auf.10
Obwohl diese Menschenrechtsverletzungen vor den Küsten einzelner Inseln stattfinden, können sie nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die konservative Regierung Griechenlands und die Europäische Union verfolgen aktiv eine Politik der Kontrolle und der Ausgrenzung von Migrant:innen. Dies spiegelt sich in zunehmend “geschlossenen” Lagern, rassistischen Schutzmaßnahmen in Bezug auf COVID-19 und zunehmenden Push-backs wider. All dies führt zu mehr Kontrolle über Geflüchtete und zu einer weiteren Einschränkung ihrer Handlungsspielräume und ihrer Autonomie. Man geht davon aus, dass die griechische Regierung mit Unterstützung der Europäischen Union die Pandemie als eine Ablenkung benutzt, um ihre Migrationspolitik noch restriktiver und repressiver zu gestalten. Viele befürchten, dass diese neuen Maßnahmen unverändert bleiben und die Rechte und Freiheiten der Migrant:innen immer weiter eingeschränkt werden.