Im Februar und März 2020 machte Lesbos international Schlagzeilen. Nach Jahren, in denen Lesbos von der EU komplett allein gelassen, durch das Tragen der Last der Europäischen Migrationspolitik bis zum Zusammenbruch und darüber hinaus gedrängt wurde, hatten rechte Gruppen und wütende Einheimische die Präsenz auf der Straße übernommen: Sie errichteten Straßenblockaden und kontrollierten dadurch die Bewegungen, schlugen Autos kaputt, griffen Geflüchtete, Journalisten, Aktivisten und Mitarbeitende von NGOs an und brannten eine Schule für Migranten nieder.

Es war eine Zeit der Angst, in der die schrecklichen Nachrichten nicht zu enden schienen. Eine Zeit, während der auch unsere Crew von einem Mob angegriffen wurde, der damit drohte, die Mare Liberum in Brand zu setzen. Die Situation wurde so heftig, dass viele NGOs und Aktivisten-Gruppen den Betrieb einstellen mussten und sich gezwungen sahen, ihre Freiwilligen nach Hause zu schicken. Das war die Spitze der Entwicklungen: Von einer Insel, die einst für selbstlosen Support und Solidarität gegenüber ankommenden Geflüchteten gelobt und 2016 sogar für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, zu einem Ort, der mit Faschismus und Gewalt assoziiert wird. Plötzlich kamen internationale Nazis mit der wirren Vision die europäischen Grenzen zu schützen, auf die Insel. Lokale Antifaschisten machten es ihnen schnell ungemütlich und diese absurde Form des Nazi-Tourismus endete bald wieder. Aber was blieb ist die große Frage, wie das überhaupt passieren konnte, wie diese Insel sich so drastisch verändern konnte.

Dann verbreitete sich die Corona Pandemie weiter und damit verschob sich der Fokus der Welt. Es wurde wieder ruhig auf der Insel. Aber die Probleme verschwanden nicht. Die Strukturen von lokalen und internationale Aktivisten und NGOs sind aktuell weiterhin geschwächt und meist sind sie unterbesetzt und überarbeitet, besonders diejenigen, die versuchen das Leben – im berüchtigten und katastrophal überfüllten Camp Moria – etwas erträglicher für die Geflüchteten zu machen. Und während all der Zeit war es für die Mare Liberum nicht möglich einen sicheren Hafen zu finden. Aber am beunruhigendsten sind die fortdauernden Angriffe auf Geflüchtete: Ein leeres Kaufhaus, in dem Geflüchtete lebten, wurde in Brand gesetzt und zwei Bewohner von Moria wurden während eines Spazierganges angeschossen. Während der Verhandlung versammelten sich rechte Aktivisten vor dem Gericht um ihre Unterstützung dem Täter gegenüber zu zeigen. Dabei missachteten sie geltende Corona Regeln und beschimpften und attackierten Journalisten. Nur wenige Tage vorher wurden parkende Autos vor Moria demoliert. Später, während des Besuches durch den Minister für Migration und Asyl, Notis Mitarakis, in Moria, mussten wir die erste Straßenblockade seit sieben Wochen beobachten, wo NGO Mitarbeitende erneut angegriffen wurden. Währenddessen wurde ein Hotel auf dem griechischen Festland in Brand gesteckt, das vermutlich für die Unterbringung von gefährdeten Asylsuchenden aus Moria gedacht war. Das alles fühlt sich so merkwürdig vertraut an für diejenigen, die bereits vor einigen Monaten hier vor Ort waren. Vertraut und furchteinflößend.

Und die große Frage ist: Wird es wieder los gehen? Werden rechte Gruppen und aufgebrachte Individuen erneut die Kontrolle übernehmen, jetzt, wo die Corona Beschränkungen wieder gelockert werden? Trotzdem wissen wir, dass viele der Inselbewohner:innen sich stark und solidarisch gegen die Faschist:innen stellen und wir sind sprachlos angesichts ihrer Courage und Stärke. Unsere Arbeit, die Arbeit von Vielen, wäre ohne sie nicht möglich. Dennoch beunruhigen uns die jüngsten Entwicklungen zutiefst.

? 2018, Athens, Psirri, Greece, Artist/author unknown

Mare Liberum i. A.

Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin