Menschenrechtsverletzungen an der griechischen EU-Außengrenze und vor allem die illegale Abweisung von Menschen auf der Flucht ist eine tägliche Praxis in der Ägäis. Allein in diesem Jahr wissen wir von über 4,500 Menschen, die in 163 Vorfällen bedroht, geschlagen, gedemütig und anschließend auf dem Meer ausgesetzt und willentlich in Lebensgefahr gebracht wurden. Da Griechenland zudem ‘Host’ der größten Frontex Operation ist, stellt sich immer wieder die Frage, welche Rolle die EU Grenzschutzagentur bei diesen systematischen Menschenrechstverletzungen spielt. Unabhängige Aufklärung oder Ermittlungen gibt es nicht und die ganze Thematik wird von nationalen und europäischen Behörden großzügig ignoriert.
Die Dokumentation von Pushbacks in der Ägäis über die letzten eineinhalb Jahre zeigt neben der Eskalation der Gewalt und Normalisierung systematischer Menschenrechtsverbrechen an der EU-Außengrenze vor allem, dass Pushbacks kein griechisches, sondern vielmehr ein europäisches Projekt sind [1]. Im Herbst 2020 wurde die aktive und passive Beteiligung von Frontex an mindestens sechs Pushbacks in der Ägäis aufgedeckt. Frontex schiebt die Verantwortung dafür dem ‚Host-state‘, also Griechenland, zu und Griechenland wiederum leugnet überhaupt Pushbacks durchzuführen. Die von Frontex selbst im November 2020 einberufene Working Group zur Aufklärung von 13 Vorfällen in der Ägäis, konnte kein Fehlverhalten nachweisen. Die Beweise für Frontex’ Teilnahme und Ausführung von Pushbacks scheinen die europäischen Behörden genauso wenig wie die griechischen zu stören.
Stattdessen betonen sowohl Griechenland als auch Frontex immer wieder die gute Zusammenarbeit beim “Schutz” der europäischen Außengrenzen. So zum Beispiel Ende Mai dieses Jahres bei einem Treffen des Frontex Direktors Leggeri mit dem griechischen Primierminister Mitsotakis und dem griechischen Migrationsminister Mitarakis in Athen. Alle Beteiligten beglückwünschten und feierten sich für den Rückgang der Neuankünfte auf den Inseln und die „gelungene Rettung tausender Leben seit 2015.“ [2] Während Leggeri die Pushbacks im letzten Jahr noch leugnete und zumindest behauptete, das Frontex von alledem nichts wisse, unterstützt er nun ganz uneingeschränkt die auf Menschenrechtsverletzungen basierende Migrationspolitik Griechenlands: “Dieses Treffen war für unsere Agentur äußerst lohnend, da es die Rolle anerkennt, die Frontex über die Jahre hinweg gespielt hat, um Griechenland an seinen Grenzen zu unterstützen und dabei zu helfen, die große Anzahl von Migranten zu bewältigen sowie die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Wir sind entschlossen, Griechenland zu unterstützen.“ [3] Vor dem Hintergrund der Ermittlungen, die alles andere als unabhängig und vom Vertuschen von Vorfällen geprägt waren, zur Beteiligung von Frontex an illegalen Pushbacks in der Ägäis sind Statements wie dieses eine zynische Rückenstärkung Griechenlands. Obwohl es weder neu noch überraschend ist, wird die Akzeptanz von Menschenrechtsverletzungen durch Frontex immer sichtbarer.
Artikel 46 der Frontex-Verordnung sieht vor, dass der Exekutivdirektor, also Leggeri, jedwede Tätigkeit der Agentur aussetzen und beenden muss, wenn „im Zusammenhang mit der betreffenden Tätigkeit schwerwiegende oder voraussichtlich weiter anhaltende Verstöße gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes vorliegen.“ [4] Im Falle Griechenlands sind die anhaltenden Pushbacks und die unzähligen Beweise verschiedenster Akteur:innen theoretisch Grund genug, um die Frontex Mission zu beenden, so wie es Anfang des Jahres in Ungarn geschehen ist. Dort wurde die europäische Agentur durch ein Urteil des europäischen Gerichtshofes (EuGH) praktisch dazu gezwungen. Die EU-Richter:innen begründeten das Urteil vor allem damit, dass in Ungarn ‚illegal‘ eingereiste Personen nach Serbien abgeschoben werden, ohne dass der Einzelfall geprüft wird [5]. Eine Praxis, die in der Ägäis ebenfalls tagtäglich zum Einsatz kommt und Flüchtende so systematisch entrechtet.
Seit 2010 ist Frontex mit der Operation Poseidon in Griechenland an der Land- und Seegrenze präsent. Mit 660 Beamt:innen des in diesem Jahr eingeführten ‚standing corps‘ der Grenzschutzagentur und 16 Schiffen in der Ägäis, ist es nach wie vor die größte Frontex Mission [6]. Der ‚standing corps‘ soll bis zum Sommer dieses Jahres bewaffnet sein und eigene Frontex Uniformen bekommen [7].
Um Frontex aus Griechenland abzuziehen, müsste die Grenzschutzagentur zunächst die Pushbackvorwürfe anerkennen und ernsthafte Ermittlungen einleiten. Es bräuchte zudem mehr politischen Druck anderer europäischer Staaten, sowie der EU gegen Griechenland zu ermitteln und gegebenenfalls zu klagen, so wie es bei Ungarn geschehen ist [8]. Dies wird voraussichtlich nicht passieren, da sich Pushbacks an den südlichen Außengrenzen gut in die europäische Migrationspolitik, die auf Abschottung und Externalisierung der Grenzen setzt, einfügen. Es ist demnach sehr bequem für den Rest Europas, wenn Griechenland den illegalen Part des ‚Grenzschutzes‘ übernimmt. Ganz im Sinne Europas ignoriert der neu eingesetzte Beauftragte für Grundrechte bei Frontex die Pushbackvorwürfe und sieht keinen Grund die Operationen in Griechenland zu beenden [9].
Kurz gesagt: Frontex ist Teil illegaler Pushbacks an den europäischen Außengrenzen, vertuscht die Menschrechtsverletzungen der ‚Host‘-Staaten, in diesem Fall Griechenland und setzt statt auf Aufklärung und Transparenz auf Aufrüstung. Menschenrechte, sowie der Schutz von Menschen auf der Flucht, spielen absolut keine Rolle bei der Arbeit von Frontex.
Auch wenn sich Frontex aus Griechenland zurückziehen oder Leggeri zurücktreten würde, würde das nichts an der Rolle Frontex’ ändern. Das europäische Migrationssystem von dem Frontex ein wichtiger Teil ist, ist menschenverachtend und potenziell tödlich für alle, die nach Europa kommen, um Schutz zu suchen. „Grenzschutz“ kann niemals mit dem Recht auf ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben vereinbar sein.
Deshalb sind wir Teil der „Abolish Frontex” Kampagne in der wir gemeinsam mit vielen anderen internationalen Organisationen und Gruppen die Abschaffung der Grenzschutzagentur fordern. Neben dieser Forderung steht das Bündnis für die Legalisierung von Migrant:innen, Schluss mit Abschiebungen, Inhaftierungen und Überwachung von Menschen auf der Flucht, sowie der Militarisierung der Grenzen. Wir fordern ein Ende des EU-Grenzregimes und die Förderung von Solidarität [10]!