Es ist kein Geheimnis, dass Flüchtende an den europäischen Außengrenzen illegal abgedrängt werden. Das was Europa ‚Grenzschutz‘ nennt, führt dazu, dass Menschenrechte missachtet werden, Menschen in Lebensgefahr gebracht werden oder sterben. In der Ägäis war es in diesem Jahr vor allem die griechische Küstenwache, die Schutzsuchende in Rettungsinseln auf dem Meer aussetzte und Schlauchboote zerstörte. Doch es ist zu einfach die Schuld Griechenland zuzuschieben. Auch europäische Behörden, wie Forntex und Schiffe unter NATO Kommando sind an illegalen Pushbacks in der Ägäis beteiligt.

Im Herbst wurde die aktive und passive Beteiligung von Frontex an mindestens sechs Pushbacks aufgedeckt. Frontex schiebt die Verantwortung dafür dem ‚Host-state‘, also Griechenland, zu. Griechenland selbst leugnet wiederum überhaupt Pushbacks durchzuführen. Dass es eindeutige Beweise gibt, scheint weder die griechischen noch die europäischen Behörden zu stören. Am 8. Juni war das rumänische Frontex Schiff ‚MAI1102‘ in einen Pushback verwickelt, von dem es sogar Videoaufnahmen gibt [1]. Das rumänische Frontex Schiff‚ MAI1103‘ war am 15. August gemeinsam mit dem deutschen Marineschiff ‚Berlin‘, welches unter NATO Kommando in der Ägäis unterwegs war, an einem weiteren Pushback beteiligt [2][3].

Ein vom Spiegel veröffentlichtes internes Dokument beschreibt zudem einen von Frontex dokumentierten Pushback in der Nacht vom 18. zum 19. April 2020. Ein Frontex Flugzeug hatte beobachtet, wie Flüchtende erst an Bord eines Schiffes der griechischen Küstenwache gebracht und anschließend in einem Schlauchboot ohne Motor in türkischen Gewässern ausgesetzt wurden.

Die Frontex Beamt:innen meldeten den Vorfall und Frontex Chef Fabrice Leggeri wandte sich an die griechische Regierung, stufte den Fall jedoch letztendlich nicht als Grundrechtsverletzung ein [4].

Bildquelle: https://en.sg.gov.tr/28-irregular-migrants-were-rescued-off-the-coast-of-balikesir

Der Vorfall war nicht der Erste, bei welchem Frontex nachweislich in Kenntnis über einen illegalen Pushback war und die Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis wissentlich ignorierte. Im März 2020 verweigerte die Besatzung eines dänisches Frontexschiffes die Teilnahme an einem illegalen Pushback, welcher durch die griechischen Behörden zuvor angeordnet worden war. Der Fall wurde zwar gemeldet, jedoch zeigte Frontex keinerlei Interesse daran, diesen aufzuklären. Ermittlungen wurden innerhalb eines Tages abgeschlossen, der Pushback wurde als Einzelfall dargestellt und Leggeri bezeichnete das Ganze als Missverständnis [5][6].

Als Reaktion auf die aktuelle Berichterstattung zur Beteiligung von Frontex an illegalen Pushbacks in der Ägäis durch verschiedene Journalist:innen und NGOs, kündigte Frontex zunächst interne Ermittlungen an und legte in einer Sondersitzung im November 2020 schließlich einen Bericht vor. Leggeri gibt zu, dass Frontex Schiffe in der Nähe von Pushbacks waren, es gäbe jedoch keine Kenntnisse über Rechtsverstöße. Da keine Frontex Crew eine Menschenrechtsverletzung gemeldet habe, geht Leggeri davon aus, dass es auch keine gegeben haben kann. Zudem gibt er der griechischen Küstenwache Rückendeckung und betont, dass sich Frontex stets an die Anweisungen der lokalen Behörden halte [7]. Dies mag zwar sein, jedoch unterstützt Frontex damit aktiv Menschenrechtsverletzungen.

Die Beteiligung von Frontex an illegalen Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen ist nicht neu. In den westlichen Balkanstaaten und an der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei werden Beweise und Berichte über Pushbacks seit Jahren systematisch ignoriert [8]. Und auch in der Ägäis ist Frontex seit Jahren in Pushbacks involviert oder zumindest darüber informiert, wie beispielsweise ein Bericht von Pro Asyl aus dem Jahr 2014 [9] und der AlarmPhone-Fall vom 11.6.2016, bei dem ein rumänisches sowie ein portugiesisches Frontex Schiff an einem Pushback beteiligt waren [10], zeigen.

Warum es nicht reicht zu fordern, dass Frontex nicht an Menschenrechtsverletzungen teilnehmen und die anderer melden sollte, wird sichtbar, wenn man sich etwas mehr mit der Struktur und Arbeitsweise der Behörde auseinandersetzt. Frontex wurde als europäische ‚Grenzschutzagentur‘ im Jahr 2004 gegründet und arbeitet sowohl mit eigenen Mitarbeiter:innen, als auch mit Beamt:innen der EU-Mitgliedsstaaten. Es gibt mehrere Frontex Missionen, die nach Regionen unterteilt sind und jeweils auf einem eigenen Verhaltenskodex beruhen.

Die Aufgabe von Frontex ist es, die europäischen Außengrenzen zu ‚schützen‘, jedoch nicht um jeden Preis. Menschenrechtsverletzungen sind eigentlich zu melden und die jeweilige Mission müsste daraufhin abgebrochen werden. Da Frontex in einem Feld tätig ist, in dem Menschenrechtsverletzungen keine Seltenheit darstellen, ist eine unabhängige Kontrollinstanz, die es so bislang nicht gibt, dringend notwendig. Stattdessen ist die Zusammenarbeit mit nationalen Grenzschutzbehörden absolut undurchsichtig. Fehlende Überwachung und ein Kontrollverlust über die Handlungen der Behörde sind fruchtbarer Boden für Machtmissbrauch. Dazu kommt, dass eine Vergrößerung von Frontex bereits in Planung ist. Bis 2027 soll Frontex ein Budget von rund 12 Milliarden Euro sowie 10.000 Einsatzkräfte als ständige Reserve erhalten [11][12]. Der Journalist Arne Semsrott bringt es auf den Punkt:

Frontex darf, ausgestattet mit einem Milliardenbudget, einem neuen Hauptquartier in Warschau, eigenen Fahrzeugen und bald auch Waffen und Uniformen, an den Grenzen größtenteils machen, was sie will. Sie verteilt inzwischen Millionenaufträge an Rüstungsunternehmen, macht in Brüssel Lobby in eigener Sache und geht aggressiv gegen kritisch berichtende Journalist:innen vor.“ [13]

Das Problem von Frontex ist in der Struktur der Behörde angelegt und kann nicht durch Reformen gelöst werden. Eine Untersuchungskommission oder Rücktrittsforderungen gegen Leggeri reichen bei Weitem nicht aus. Blickt man auf die Struktur und Aktivitäten der Behörde, ist Frontex schlicht nicht mit einem Europa vereinbar, welches sich auf Menschenrechte beruft.

Menschenrechte einzuhalten ist ein Mindeststandard, der sowohl von Individuen, als auch Institutionen und Behörden zu erwarten ist. Europäische Behörden, die diesen nicht einhalten, gehören abgeschafft. Die Milliarden, die jährlich in die Arbeit von Frontex fließen, könnten anders angelegt warden und tatsächlich Menschenleben an den Grenzen retten. In diesem Jahr sind über 1.000 Menschen an Europas Außengrenzen, vor allem auf dem Mittelmeer, gestorben. Ohne sichere Fluchtrouten werden es auch in den kommenden Jahren nicht weniger Tote. Die Abschottung, die die europäischen Grenzen zu einem rechtsfreien und tödlichen Ort macht und für die Frontex so beispielhaft steht, ist keine Lösung. Europa macht es sich in einer Illusion von Menschenrechten und Freiheiten bequem, die darauf beruht, allen Außenstehenden eben diese zu verwehren.

Mare Liberum i. A.

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