Pushbacks sind im vergangenen Jahr zu einer ebenso alltäglichen wie menschenverachtenden Realität in der Ägäis geworden. Standen zunächst vornehmlich die Aktivitäten der griechischen Behörden im Fokus, wird bereits seit einiger Zeit auch die Verwicklung von Frontex in illegale Pushbacks vermehrt diskutiert. So wurden zahlreiche Vorfälle bekannt, bei denen Frontex anwesend oder aktiv beteiligt war [1]. Es lässt sich nur erahnen, in welchem Ausmaß die europäische Behörde wirklich an Menschenrechtsverletzungen an der europäischen Außengrenze beteiligt ist. Doch nicht nur das. Jüngste Berichte machen einmal mehr deutlich, dass auch andere europäische Akteur:innen involviert sind und bringen die Erzählung der alleinigen griechischen Verantwortung endgültig ins Wanken.
So waren laut einem internen Schreiben von Frontex-Chef Fabrice Leggeri an die EU-Kommission auch Beamt:innen der deutschen Bundespolizei erneut an der illegalen Zurückweisung von Geflüchteten in der Ägäis beteiligt [2]. Laut dem Bericht, der dem Spiegel und Report Mainz vorliegt, entdeckte am 10. August der griechische Beobachtungsposten “Praso” um sechs Uhr morgens ein Schlauchboot. Die Meerenge, in der sich das Schlauchboot befand, gilt als besonders gefährlich und befindet sich ohne Zweifel in griechischen Gewässern. So wurden alle umliegenden Schiffe alarmiert und rund 15 Minuten später traf die Besatzung des deutschen Bundespolizei-Schiffes BP62, genannt “Uckermark“, ein. Die Bundespolizist:innen fanden ein überfülltes Schlauchboot mit 40 Personen an Bord vor und stoppten es. Anstatt die Insassen zu retten, blockierten sie jedoch zunächst die Weiterfahrt des Schlauchbootes, ließen die Insassen ausharren und übergaben den Einsatz schließlich an die griechischen Behörden.
(Bild der Uckermark: https://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/uckermark-101~_v-videowebl.jpg)
Die Bundespolizei muss davon ausgegangen sein, welches Unrecht sich anbahnte. Pushbacks sind alles andere als eine Seltenheit in der Ägäis, sondern werden so gut wie täglich und systematisch durchgeführt. Von offizieller Seite aus heißt es, die Bundespolizei habe sich im Anschluss per E-Mail erkundigt, was mit den Insassen des Schlauchbootes passierte. Die Antwort, die sie von den griechischen Behörden erhielten, ist an Zynismus nicht zu überbieten und schien die Bundespolizist:innen dennoch nicht in Verlegenheit zu bringen: Das vorgefundene Schlauchboot habe beim Anblick der griechischen Küstenwache den Kurs geändert und sei zurück in Richtung Türkei gefahren.
Was in der Zwischenzeit wirklich geschah, ist offensichtlich. Ein zwei Stunden später von der türkischen Küstenwache aufgenommenes Foto lässt schließlich keine Zweifel mehr zu [3]. Die 40 Menschen wurden in türkische Gewässer zurückgedrängt und dort auf offenem Meer ausgesetzt. Anstatt die Menschen zu retten und ihren Zugang zu einem fairen Asylverfahren sicherzustellen, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, hat sich die Bundespolizei damit aktiv am Unrecht gegen Menschen auf der Flucht beteiligt. Nicht einmal ein „Serious Incident Report“, welcher bei Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen vorgeschrieben ist, wurde von den Bundespolizist:innen angefertigt [4].
Wenig überraschend bestätigt das deutsche Innenministerium zwar den groben Verlauf des Einsatzes, streitet jedoch jegliche Verantwortung der „Uckermark“ ab [5]. Da keine unmittelbare Seenot bestanden habe, wurde die Situation lediglich an die Einsatzleitung gemeldet. Daraufhin wurde die Uckermark von der griechischen Küstenwache abgelöst und kehrte wie angeordnet in den Hafen zurück. Grundsätzlich hätten die deutschen Einsatzkräfte im Rahmen der Frontex-Operation “Poseidon” gehandelt und wären somit den griechischen Behörden unterstellt gewesen. Von einer Beteiligung an einem Pushback könne nicht die Rede sein, so das Innenministerium.
Das wiederholte Bekenntnis, sich stets an die Anweisungen lokaler Behörden zu halten, ist bereits aus anderen Stellungnahmen von Frontex zu zweifelhaften Einsätzen bekannt [6]. Zu gerne lässt man vornehmlich die griechischen Behörden die menschenverachtende Abschottungspraxis an der europäischen Ausgrenze durchführen. Gerät man jedoch selbst in die Schusslinie, wie im Fall der „Uckermark“, lässt sich stets auf die Verantwortlichkeiten Griechenlands sowie fadenscheinige Sachzwänge verweisen. Die unverhohlene Dankbarkeit, die deutlich wird, wenn Innenminister Horst Seehofer erklärt, Griechenland verteidige an der Außengrenze „Europas Integrität“, ist demnach wenig verwunderlich.
Es ist darüber hinaus nicht das erste Mal, dass die Frage aufgeworfen wird, wie sehr Deutschland an illegalen Pushbacks in der Ägäis beteiligt ist. Die „Uckermark“ selbst war bereits im Mai 2020 an einem Vorfall beteiligt, bei welchem sie aktiv dabei half, ein Boot mit Geflüchteten vor Samos abzufangen und den Menschen damit ihr Recht auf Asyl zu verweigern [7]. Ganz zu schweigen von der „A1411 Berlin“ der deutschen Marine, die unter Nato-Kommando operiert und bereits mehrmals bei brutalen und illegalen Pushbacks als Augenzeugin anwesend war [8].
Das notorische Wegschauen und die vorgespielte Unwissenheit sind zur Gewohnheit geworden. Die Strategie ist bekannt, sowohl bei deutschen Einheiten wie der „Uckermark“ oder der „Berlin“ als auch bei Frontex. So war die sogenannte europäische Grenzschutzbehörde nachweislich bei mindestens 6 Pushbacks aktiv oder passiv beteiligt und setzt bislang alles daran, die eigenen Verbrechen in der Ägäis zu vertuschen [9]. Spätestens jetzt sollte deutlich werden: Pushbacks sind Menschenrechtsverbrechen, die nicht nur vornehmlich von griechischen Behörden organisiert werden, sondern eine gemeinsame europäische Strategie, die ebenso gängig wie unmenschlich ist.
Angesichts der erdrückenden Beweislage ist eine unabhängige Untersuchung und Aufarbeitung der deutschen Beteiligung bei Pushbacks dringend notwendig! Die menschenverachtende Praxis von Pushbacks sowie die dahinterstehende tödliche Abschottungspolitik Europas müssen ein Ende haben!