Eine Gruppe von 19 Flüchtenden, die griechische Gewässer bereits erreicht hatte, wurde zunächst vom griechischen Militär in Gefahr gebracht und dann von der griechischen Küstenwache gewaltsam und illegal in türkische Gewässer zurückgedrängt, wo sie in zwei Rettungsinseln gezwungen und auf See treibend zurückgelassen wurde. Solche Pushbacks geschehen jeden Tag. Im Jahr 2020 wurden rund 9.000 Menschen von der griechischen Küstenwache, Frontex und Schiffen unter NATO-Kommando zurückgedrängt.1 Menschenrechtsverletzungen sind in der Ägäis zu einer schrecklichen Normalität geworden.
Lest diesen Bericht von Hasan, der nicht nur zeigt, wie das griechische Militär und die griechische Küstenwache arbeiten, sondern auch, wie sie bereitwillig das Leben von Flüchtenden riskieren und unnötige und traumatisierende Gewalt anwenden:
Wir sprachen mit einer Person, die am 30. Oktober 2020 auf dem Weg nach Rhodos zurückgedrängt wurde. Sie konnte ein Telefon for den Beamt:innen verstecken und so den Vorfall dokumentieren. Es waren 5 Frauen, 9 Männer, 5 Kinder im Alter von 2, 3, 11 und 13 Jahren im Boot. 15 waren Syrer*innen und 4 Palästinenser*innen. Sie alle versammelten sich am 30. Oktober um 19 Uhr in Marmaris in der Türkei, und wurden dann zu einem Boot an der Küste gebracht.

Sie starteten in Richtung Griechenland, nach 2 Stunden ging der Motor kaputt und sie konnten ihn nicht wieder zum Laufen bringen. Nachdem sie 30 Minuten lang auf dem Meer trieben, entdeckte sie ein griechisches Militärschiff hier, eindeutig in griechischen Gewässern:

“Sie [das griechische Militär] warfen Seile an unser Boot und begannen, uns zu [ihnen] zu ziehen und wegen der hohen Wellen traf unser Boot ihr Schiff, ging kaputt und Wasser lief herein.
Wir sollten auf ihr Schiff zu klettern. Ich war der Erste, dann sagten [sie] mir ich soll den anderen helfen, natürlich schrieb sie uns an und stießen uns.
Ich half einer palästinensischen Mutter und ihrem dreijährigen Mädchen an Bord, als ein Offizier kam und uns in seiner Sprache anbrüllte. Ich verstand nicht, was er sagte, und dann befahl [er] den anderen Soldaten, uns zu dem kaputten Boot zurückzubringen. Die Frau und ihr Mädchen gingen zurück ins Boot, dann folgte ich.
Dann benutzten sie lange Stöcke und drängten uns etwa 30 Meter von ihrem Schiff weg und standen da uns sahen uns zu. Nach 5 Minuten traf die griechische Küstenwache ein und zog uns, genau wie das Militärschiff zuvor.
Nachdem sie uns auf das Schiff der Küstenwache gebracht hatten, schossen sie etwa 20 Mal auf unser Boot, bis es vollständig zerstört war. Es war [ein] automatisches Maschinengewehr. Wie eine M16 oder so. Mehr als 20 Mal. Oder mehr, wir konnten uns nicht konzentrieren und zitterten, wir verloren die Übersicht. Die Babys und Kinder hatten solche Angst vor den Schüssen. Sie weinten und schrien, eines der Mädchen wurde fast ohnmächtig. Wir benutzten Handdesinfektionsmittel, um sie zu [wecken]. Es waren wirklich beängstigende Momente. Ich hoffe, dass das aufhört.
Sie schrien und schrien uns wieder an, durchsuchten all unsere Taschen und durchsuchten uns eine:n nach der:dem anderen, nahmen all unsere Telefone und die Portemonnaies einiger Leute mit. Sie fuhren etwa eine Stunde oder anderthalb Stunden, wir saßen im hinteren Teil des Schiffes.
Sie bereiteten kleine orangefarbene Boote mit Blinklicht oben drauf vor, sie wurden mit Luft angeblasen. Dann teilten sie uns in 2 Gruppen auf und setzten uns in diesen orangefarbenen Booten auf dem Meer aus, das war gegen Mitternacht (ich bin mir nicht sicher über die Zeit, da wir keine Telefone hatten und sie uns nicht erlaubten, zu fragen oder zu sprechen oder auch nur zum Schiff zu schauen, sie sagten uns, wir sollten aufs Meer schauen, da wir im hinteren Teil des Schiffes waren).“


“Das Meer spielte mit uns, die Wellen umspülten uns und wir näherten uns der Küste, welcher Küste wuselten wir nicht, weil keine Ahnung hatten wo wir [uns] befanden.
Nach vielleicht 3 Stunden erreichten wir eine felsige Küste mit scharfkantigen Felsen, unser Boot traf darauf und wurde beschädigt, Wasser floss hinein. Hier sahen wir die Lichter der türkischen Küstenwache.
Zwei Schiffe kamen und zogen uns an einem Seil weit von der Küste weg und brachten uns zu ihrem Zentrum in Marmaris, wir kamen gegen 6 Uhr morgens an, blieben dort bis 10 Uhr morgens und dann wurden wir zur Janderma (Grenzwache) gebracht. Dort blieben wir den ganzen Tag, um 19 Uhr brachten sie uns zur Einwanderungsbehörde und dann zum Busbahnhof.
Ich habe Euch nicht von der Angst und dem Moment erzählt, den wir während der Fahrt im Meer [in den Rettungsinseln] erlebten, als die Wellen uns fast umkippten. Ich dachte nur daran, meine Kinder zu sehen, bevor ich sterbe. Es war schrecklich.
Ich möchte, dass die Leute wissen, dass wir nicht verantwortungslose Menschen sind. Wir unterschätzen das Leben nicht, wir lieben es zu leben, alle von uns haben eine Geschichte hinter sich. Es ist nur so, dass wir (die meisten von uns) vor dem sicheren Tod fliehen. Wir riskieren alles um unseren Kindern ein Minimum von einem sicheren Leben an einem sicheren Ort zu bieten.“

Dieser Bericht zeigt, wie das griechische Militär Menschen in ein Boot zwang, das sich bereits in einem schlechten Zustand befand und das sie selbst durch die Kollision weiter beschädigten. Dies ist eindeutig kriminell und gefährdet bewusst das Leben der Flüchtenden.
Dasselbe gilt für das Aussetzen der Rettungsboote auf See. Durch das Beschlagnahmen aller Telefone (zusammen mit all ihrem Geld und ihren Habseligkeiten) nimmt die griechische Küstenwache die einzige Möglichkeit, Hilfe zu rufen, während die Menschen mitten in der Nacht, der rauen See ausgesetzt, auf nicht fahrtüchtigen Rettungsbooten festsitzt.
Darüber hinaus ist dieser Zeugenbericht ein weiteres Beispiel dafür, dass die griechische Küstenwache exzessive physische und psychische Gewalt gegen Flüchtende anwendet. Der Einsatz eines automatischen Maschinengewehrs, um das Boot außer Gefecht zu setzen, kann zutiefst traumatisch sein – besonders für Kinder, die aus einem vom Krieg zerrissenen Land geflohen sind. In dieser Situation hätte ein einfacher Schnitt mit einem Messer genügt, um das Schlauchboot zu versenken. Eine Atmosphäre des absoluten Terrors zu schaffen, indem man Menschen anschreit, wegschiebt und mit einem Maschinengewehr schießt ist eine Form der Folter, die darüber hinausgeht Menschen illegal über eine Grenze zu drängen. Die Idee scheint darin zu bestehen, Flüchtende schwer zu traumatisieren, damit sie nicht mehr versuchen, die Ägäis zu überqueren.
Das ist die schreckliche Realität von Migrant:innen, die versuchen, in Europa Sicherheit zu finden. Das ist es, was Europa mit Menschen macht, die es wagen, vor Krieg zu fliehen und in die “Festung” einzudringen. Das ist nicht nur illegal, sondern auch zutiefst unmenschlich und erniedrigend. Die systematische Anwendung exzessiver Gewalt und illegaler Pushbacks in den Grenzregionen ist zu einem integralen Bestandteil der europäischen Abschottungspolitik geworden.
© Header Picture: Toni Petraschk / Mare Liberum