“Ich habe nichts falsch gemacht. Nur, dass ich eine Frage gestellt habe. Und er [der Polizist] fängt an, mich zu treten. Er sagte, ich würde zu viel reden.” Dieser Fall von Polizeigewalt gegen eine junge Frau aus Westafrika fand im Quarantänebereich des Camps Moria 2.0 statt. Das Lager ist stark militarisiert – umgeben von Stacheldrahtzäunen, es wimmelt von Polizei, wird von Drohnen überwacht und der Zutritt ist nur über mehrere Kontrollpunkte möglich. Journalist:innen dürfen nicht hinein und NGO-Mitarbeiter:innen ist es gesetzlich verboten, über die Vorgänge im Lager zu berichten. Es ist wie eine Blackbox für Informationen, in der die Bewohner:innen der Polizei ausgeliefert sind.
Die Frau gehört zu den etwa 140 Bewohner:innen von Moria 2.0, die sich derzeit im Quarantänebereich befinden. Es handelt sich um einen isolierten Bereich, in dem diejenigen, die positiv auf COVID-19 getestet wurden, sowie negativ getestete “Kontaktpersonen” und Menschen, die gerade erst auf Lesbos angekommen sind, gezwungen sind, in überfüllten Containern zusammenzuleben. Die Menschen sind hier einem hohen Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus zu infizieren. Mehr als ein Jahr nach dem Beginn der weltweiten Pandemie kann die Existenz eines solchen Ortes kaum als Versagen der Behörden, sondern eher als Absicht angesehen werden [1]. Der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi erklärte, dass “die Daten zeigen, dass wir in den [Lagern] kein Problem mit Todesfällen oder der Verbreitung von COVID-19 haben” [2], obwohl eine Studie zeigt, dass das Risiko einer Infektion mit COVID-19 für Geflüchtete in griechischen Lagern 2,5-3 mal höher ist als für die allgemeine Bevölkerung in Griechenland [3]. Lokale Zeitungen haben über eine Explosion positiver Corona-Fälle in Moria 2.0 mit etwa 18 neu bestätigten Fällen innerhalb nur eines Tages berichtet [4].
Seit Beginn der Pandemie haben die griechischen Behörden mit erhöhter Polizeipräsenz und Brutalität auf die Situation reagiert, anstatt die Gesundheitsversorgung zu stärken. Im September 2020 gab es den ersten bestätigten COVID-19-Fall im alten Moria-Lager. Das war kurz nachdem die griechischen Behörden die einzige Isolierklinik von Ärzte ohne Grenzen (MSF) geschlossen und mit einer Geldstrafe von 35.000 € belegt hatten, weil sie offenbar keine Baugenehmigung hatte. Anstatt die Klinik wieder zu öffnen oder mehr Ärzt:innen und medizinisches Personal zu schicken, um den Ausbruch zu bekämpfen, sollte ein Zaun um das Moria-Lager gebaut und mehr Polizei- und Militärkräfte zur Bewachung des Lagers geschickt werden.
Die aktuellen Entwicklungen passen in das Muster: Die griechischen Behörden versuchen, Geflüchtete einzuschränken und nicht die Ausbreitung des Virus. Anstatt Menschen mit Covid-19 zu isolieren und zu behandeln, ist der Quarantänebereich in Moria 2.0 im Gegenteil ein gefährlicher Nährboden für Infektionen. Im Einklang mit der Repression und Gewalt im Lager führen Polizeibeamtinnen in den Straßen von Mytilene oder Athen Racial Profiling durch und verhängen Geldstrafen zwischen 300 und 3.000 € für Geflüchtete für eventuelle Verstöße gegen COVID-19-Maßnahmen – eine absurde Summe für Menschen, die 75 € im Monat erhalten. Obendrein heißt es, dass niemand das Land verlassen darf, bevor ersie die Schulden nicht beglichen hat. Unseres Wissens nach haben viele Geflüchtete mehrere Geldstrafen erhalten und sind dadurch daran gehindert, Griechenland zu verlassen, auch wenn sie die richtigen Papiere haben, um zu gehen.
Zu Beginn der Pandemie war der öffentliche Aufschrei darüber groß, dass Zehntausende von Geflüchteten gezwungen waren, in Lagern zu leben, in denen sie den Gefahren von COVID-19 ausgesetzt waren, ohne die Möglichkeit, sich regelmäßig die Hände zu waschen oder social distancing zu betreiben. Die Forderung “Leave No One Behind” wurde zu einer Bewegung. Jetzt sind die Lager auf Lesbos nichts Neues mehr und die Pandemie wohl bekannt, doch immer noch sind die Camps nicht besser ausgestattet, um ihre Bewohner:innen vor dem gefährlichen Virus zu schützen. Nur die Behörden sind besser darin geworden, die beschämenden Zustände hinter Stacheldrahtzäunen zu verstecken, die von aggressiver Polizei bewacht werden. Unsere Aufrufe zu #LeaveNoOneBehind müssen noch lauter werden!