Gewalt und Folter als Teil der Abschottungspolitik

„Pushbacks bezeichnen den illegalen Akt, Menschen ohne Chance auf Asylantrag und gegen ihren Willen über eine Grenze zurückzubringen. In der Theorie kann dies ohne den gezielten Einsatz von physischer Gewalt vonstattengehen. Jedoch wurden in den meisten uns bekannten Fällen physische und psychische Gewalt und sogar Folter eingesetzt. Die Systematik in diesem Vorgehen und der Umstand, dass dies in diversen griechischen Distrikten in ähnlichem Ausmaße zu geschehen scheint, legt den Verdacht nahe, dass nicht nur erwiesenermaßen Pushbacks,1 sondern grundsätzlich der systematische Einsatz von Gewalt und Demütigungen auf behördliche Anweisung geschieht und einen strategischen Teil des “Grenzschutzes” in der Ägäis darstellt.

Bei fast allen Pushbacks von Griechenland in die Türkei werden die Fliehenden von der griechischen Küstenwache, Polizei oder Militär ihrer Besitztümer, ihres Geldes, ihrer Papiere beraubt. Zurück in der Türkei werden mittlerweile fast alle temporär in Detention Centern festgehalten und anschließend ohne Zugang zu staatlichen Unterstützungsstrukturen entlassen. Uns wurde berichtet, dass Menschen in diesen Detention Centern unwissentlich oder unter Druck das “Voluntary return” Dokument unterschreiben, durch welches ein Einverständnis zur Deportation ins Herkunftsland gegeben wird. Laut Betroffenen und Anwält:innen vor Ort wird Vielen nach Pushbacks wegen des Vorwurfs der illegalen Ausreise die Aufenthaltsgenehmigung (“Kimlik”) in der Türkei entzogen und ein Abschiebebescheid ausgehändigt. Damit droht Ihnen eine Abschiebung in Ihr Heimatland, beispielsweise das Bürgerkriegsland Syrien.

Extrem prekäre Lebensumstände in der Türkei mit meist ausbeuterischen Bedingungen im informellen Arbeitssektor, fehlender Zugang zu staatlichen Strukturen wie Gesundheitsversorgung, zunehmend offener Rassismus und drohende Abschiebungen setzen Flüchtende unter enormen Druck, die Türkei zu verlassen und die Überquerung der Ägäis (erneut) zu versuchen. Ein Mann aus Kamerun berichtete bei einem Gespräch in 2021 davon, es zehnmal versucht zu haben, bevor er beim elften Mal Lesbos erreichte, wo es ihm gelang nach mehrtätigem Fußmarsch das Camp „New Moria/Mavrovouni“ zu erreichen, wo er registriert wurde. Viele derjenigen, die sich nach einem oder mehreren Versuchen dazu entschieden in der Türkei zu bleiben tun dies, da sie und/oder ihre Familienangehörigen, insbesondere ihre Kinder exzessive Gewalt durch die griechische Küstenwache, Polizei oder Militär erfahren haben. Viele leiden unter den Nachwirkungen der traumatisierenden Erfahrung. Es gibt Berichte über Kinder, die aufgehört haben zu sprechen. Außerdem wurde uns berichtet, dass Menschen befürchten einen weiteren Versuch nicht zu überleben.

Dieses Kapitel soll einen Überblick über die systematische Anwendung von Gewalt und Folter gegenüber Menschen auf der Flucht in der Ägäis geben.

In Rettungsinseln ausgesetzt

Dass es an der griechisch-türkischen Seegrenze täglich und systematisch zu Grenzgewalt und Menschenrechtsverletzungen kommt, ist schon seit längerem keine Neuigkeit mehr. 2020 dokumentierten wir, wie die griechische Küstenwache begann, Rettungsinseln systematisch zur Durchführung von Pushbacks einzusetzen. Seitdem werden regelmäßig Menschen, die zum Teil bereits zuvor griechischen Boden erreicht haben, in Rettungsinseln auf dem offenen Meer ausgesetzt. Diese Praxis gehört mittlerweile zum „Modus operandi“ der Behörden. Insgesamt wurden 2021 fast 5.000 Menschen in Rettungsinseln in türkischen Gewässern zurückgelassen. Die Routiniertheit, mit der die Behörden diese Praxis durchführen, macht die Verwendung von Rettungsinseln als Abschiebetool keineswegs weniger schockierend. Das Rettungsutensil wird entgegen seiner Bestimmung als Waffe gegen Menschen auf der Flucht eingesetzt. Ein Aufenthalt in den nicht steuerbaren, häufig überfüllten und den Bewegungen des Meeres ausgelieferten Gummiflößen, wird von Überlebenden als traumatisch beschrieben, da sie meist über viele Stunden einen Zustand der Todesangst erleben.

Über Bord gestoßen

Seit Anfang 2021 wurde verstärkt beobachtet, wie Menschen im Zuge von Pushbacks von griechischen Behörden in der Nähe der türkischen Küste einfach ins Wasser geworfen wurden.2 Während die meisten der Betroffenen sich schwimmend ans türkische Ufer, bzw. auf kleine Inseln retten konnten, sind mindestens vier Personen in 2021 bei einem solchen Pushback gestorben. Menschen ins Wasser zu drängen, auch wenn sie Rettungswesten tragen oder schwimmen können, zeigt auf brutalste Art und Weise, wie weit die griechischen Grenzbehörden zu gehen bereit sind.3

Insgesamt hat die türkische Küstenwache 2021 Informationen über 18 Rettungsaktionen veröffentlicht, in denen kleinen Gruppen zwischen einer und acht Personen an der türkischen Küste oder von küstennahen Inseln, häufig aus Regionen, die nur vom Wasser aus erreichbar sind, gerettet wurden. Dabei wurden die Menschen ins Meer gestoßen und konnten sich schwimmend an Land retten. Die Angaben der türkischen Küstenwache müssen zwar mit Vorsicht behandelt werden, jedoch ähneln sich die Fälle stark und einige der Pushbacks konnten durch Berichte der Betroffenen validiert werden.

Der/Die Befragte beschreibt, dass das Boot insgesamt 15-20 Minuten lang sehr schnell fuhr und dann in der Nähe einer kleinen, unbewohnten Insel anhielt. Die uniformierten Männer sollen dann den Somalier:innen und Palästinenser:innen die Kabelbinder abgeschnitten und ihnen jeweils eine Rettungsweste ausgehändigt haben, die sie anziehen sollten. Dann warfen sie sie den Berichten zufolge etwa 100 m von der Insel entfernt ins Meer. “Keiner von uns konnte schwimmen”, sagt der Befragte. “Wir weinten und schwammen und weinten und schwammen.” Schließlich erreichten sie die Insel, die unbewohnt war. “Es gab nichts, nicht einmal Bäume!” Der Befragte berichtet, dass die vier Männer drei Tage lang auf dieser kleinen Insel gestrandet waren. “Wir waren so hungrig und durstig, dass wir Wasser aus dem Meer tranken und Zweige von Sträuchern aßen.”

Testimony 27.01.2021 – Josoor

Erzwungenes Entkleiden, Leibesvisitation und (Sexualisierte) Gewalt

Bei Pushbacks von Personen, die in den meisten Fällen bereits griechischen Boden erreicht haben, kommt es häufig zu erzwungenem Entkleiden durch griechische Beamt:innen während Kleidung und Taschen durchsucht werden. Oft werden die teils oder vollständig entblößten Menschen gezwungen (stundenlang) in unkomfortablen Posen, zum Beispiel kniend, zu verharren – auch im Freien bei winterlichen Temperaturen.

Auch kommt es bei Pushbacks immer wieder zu sexualisierter Gewalt. Frauen haben uns von verschiedenen sexuell übergriffigen Handlungen durch griechische Grenzschützer berichtet, die von verbalen Angriffen mit explizit sexuellem Inhalt, eindeutigen Gesten, bis zu körperlich übergriffigen Handlungen reichten. So wurden Frauen nicht nur dazu gezwungen ihre Hijab vor einer Gruppe mehrerer Menschen abzulegen, sondern auch sich nackt auszuziehen. Auch Männer berichten davon, dass sie den Befehl erhielten sich komplett zu entkleiden und Gewalt eingesetzt wurde, wenn sie dieser Forderung nicht umgehend nachkamen.

Eine weitere Methode, die häufiger eingesetzt zu werden scheint, ist die der Leibesvisitation, bei der der gesamte Körper inklusiver Körperöffnungen wie Mundraum, After und Vagina abgetastet wird. Dabei gibt es Berichte, dass die entblößten Menschen dabei beleidigt und ausgelacht wurden und dass diese Visitationen bei Frauen auch durch männliche Beamte durchgeführt wurden.

Leibesvisitationen finden nicht nur im Rahmen von Pushbacks statt, sondern werden auch gegen Aktivist:innen eingesetzt. Uns sind mehrere Fälle bekannt in denen Personen einer solchen Leibesvisitation unterzogen wurden und angaben, dass diese einen klaren Demütigungs- und Einschüchterungscharakter aufwiesen.

“Kurz nach dem Betreten des Bootes wurden die Männer gewaltsam entkleidet und ihr Geld wurde ihnen abgenommen. Nackt, einer nach dem anderen, wurden sie von den Beamten durchsucht, während sie beschimpft und heftig geschlagen wurden. Die Beamten belästigten auch Frauen und berührten sie am Körper. Sie zwangen die Frauen nicht, sich auszuziehen, sondern befahlen ihnen, aufzustehen, und dann berührten [die Beamten] ihre Körper. Der Befragte erklärte, dass einige der Frauen schrien, während ihre Körper berührt wurden, und dass die Beamten sie schlugen und ihnen sagten, sie sollten aufhören zu schreien.”

Testimony 24.08.2021 – BVMN

“Sie durchsuchten uns nackt im Wald. Sie durchsuchten zuerst die Kleidung, überall. Sie durchsuchten alles. Selbst wenn sie Geld fanden, dachten sie, dass man mehr Geld hat. Du ziehst dich aus und sie durchsuchen deinen Intimbereich, auch dein Inneres.“ Die gleiche Methode galt für alle, auch für die schwangere Frau. Sie durchsuchten alles. Es waren nur männliche Beamte anwesend.

Testimony 18.09.2021 – Mare Liberum

Wir wurden von den griechischen Behörden aufgegriffen. [H5] Wir wurden auf einer Station der Hafenbehörde in Gewahrsam genommen. Wir wurden separiert. […] In einem anderen Raum wurde ich einer unglaublich invasiven ‘Leibesvisitation’ unterzogen, die ich eigentlich eher als sexuelle Belästigung/sexuellen Übergriff bezeichnen würde […]. Ich habe in der Kriminalpsychiatrie gearbeitet und weiß, wie eine Leibesvisitation, die dem Schutz der Beamten und der Suche nach illegalem Schmuggelgut dient, auszusehen hat. Und das war nicht der Fall. Das war reine Einschüchterung und es war unglaublich unangebracht und invasiv.”

Testimony – Anhörung der UN Sonderberichtserstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen

Folter

„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ Artikel 5 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1984.

„Der Ausdruck «Folter» [bezeichnet] jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“ Artikel 1 des UN-Antifolterkonvention (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe) von 1984.

Am 19. September 2021 verließ ein Holzschiff mit ca. 150 Personen die türkische Stadt Izmir mit dem Ziel Italien. Am 22. September erreichten sie italienische Gewässer. Dort fiel der Motor des Schiffes aus und Wasser drang in das Schiff ein.

Der Öltanker Aristotanis, der auf dem Weg nach Ägypten war, nahm die Menschen in Seenot an Bord. Dabei stürzte eine schwangere Frau ins Meer und konnte nicht mehr geborgen werden. Anschließend setzte der Tanker seine Fahrt in Richtung Griechenland fort, wo die geretteten Menschen in Chania auf Kreta von Bord gehen sollten. Angeblich weigerten sich die Menschen griechischen Boden zu betreten und forderten nach Italien gebracht zu werden. Bilder der Menschen an Bord zeigten eine starke Präsenz von „Männer[n] in Uniformen der Spezialeinheiten, die sich von den regulären Uniformen der griechischen Küstenwache unterscheiden, mit schwarzen Handschuhen und die Gesichter verdeckt hinter Sturmhauben.“4

Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere solidarische Gruppen involviert und nationale Journalist:innen berichteten über den Fall. Viele befürchteten einen Pushback der Menschen. Die griechische Küstenwache hatte bereits in der Vergangenheit Pushbacks über Distanzen von hunderten Kilometern durchgeführt obwohl darüber in der Öffentlichkeit berichtet wurde. (Vgl. den durch Alarmphone dokumentierten Pushback von 197 Menschen von Keta in die Türkei.5)

In der Nacht wurden die Menschen dann unter Anwendung von Gewalt an Land gebracht und in einem Kindergarten untergebracht, wo sie geschlagen wurden, weder essen noch Trinken erhielten und keinen Zugang zu Toiletten hatten. Laut Zeug:innenaussagen wurden in den folgenden Tage mehrere Menschen gefoltert, um herauszufinden, wer das Boot steuerte.

 Testimony 19.09.2021 – Mare Liberum*

Sprachnachrichten von einem der Betroffenen:

„Genosse, wir verließen Izmir mit dem Schiff. Wir waren in der Nähe von Italien. Unser Schiff begann zu sinken. Zu diesem Zeitpunkt [wurden wir] von einem anderen Schiff gerettet. Dieses Schiff brachte uns nach Griechenland und übergab uns hier der Polizei.“

„Nun, Genosse, sie [‚Ich glaube, die Spezialeinheiten‘] brachten uns zu… es ist ein Kindergarten. Er hat einen Hinterhof. Sie haben ein paar Sachen auf den Boden geworfen [damit wir schlafen können]. Wir sind hier. Unser Bereich ist mit einem Band abgesperrt. Unser größtes Problem hat mit dem Kapitän zu tun, der das Schiff gesteuert hat. Sie [die Polizei] sagen, dass er unter uns ist. Sie sagen: ‘Sagt uns, wer von euch es ist.’ Da wir in der Nacht an Bord des Schiffes kamen, kennen wir ihn nicht. Sie haben uns an einen Ort unter Deck gebracht, wir haben uns nicht getroffen. Wir sind nicht neben ihnen geblieben. Gestern wurde deshalb eine Menge Druck ausgeübt. Sie haben großen psychologischen Druck auf uns ausgeübt. Ich meine, sie haben Druck auf die ganzen Jugendlichen ausgeübt. Sie haben sie geschlagen. Einer wurde verhaftet. Er wurde gestern Abend entführt und kam nicht zurück. Am Abend haben sie einen Freund mitgenommen. Sie legten ihm etwas um den Hals und warfen ihn ins Wasser; sie folterten ihn. Einem anderen Freund haben sie das Bein gebrochen. Sie brachen oder zertrampelten seinen Fuß. Sie zertrampelten seine Hand. Sie versetzten ihn in einen schrecklichen Zustand. Wir wissen nicht, ob wir bleiben werden oder ob sie uns an einen anderen Ort bringen werden, sie haben uns keine Informationen gegeben.“

Ein besonders brutaler Pushback ereignete sich Anfang Dezember 2020. Der Versuch von 31 Menschen, Europa zu erreichen, wurde zu einer fünftägigen Odyssee, bei der sie schwer geschlagen, von Land verschleppt, ihre Familien gewaltsam getrennt, auf einer Militärbasis psychischen und physischen Foltermethoden ausgesetzt, mit Gewehren und Tränengas beschossen, von Hunden angegriffen und auf dem Meer ausgesetzt wurden.

„[Dann] fingen sie an, in die Luft zu schießen, also schossen sie. Ich rannte weg, mit den anderen gingen wir ins Wasser und sie begannen mit Tränengas [auf uns zu schießen]. Die zwei kleinen LKWs [mit festmontierten] Gewehren, die da waren, […] fangen auch an, ins Wasser zu schießen. Sie fangen an, uns zu schlagen, zu schlagen, zu schlagen. Sie schlugen uns [und] sie schossen Tränengas auf uns. Sie schlugen uns, sie schlugen uns, sie schlugen uns, sie schlugen uns, sie schlugen uns und zerschmetterten unsere Köpfe.

Der andere, der [kann] nicht schwimmen […], einer unserer Brüder will ihn retten. So schlägt er [Soldat] meinen Bruder in die Rippen […]. Er versucht [trotzdem] ihn im Wasser [vor dem Ertrinken] zu retten. So haben sie uns geschlagen.“

Einer der Männer überlebte den Gewaltexzess nur, weil er von seinen Freunden in der Rettungsinsel wiederbelebt wurde.

„Ich rufe ihn, ich sage ‘Mamadou Mamadou’. Sein Name war Mamadou. Er ist nicht mehr aufgewacht. So, da er nicht aufwacht, mache ich mir Sorgen um ihn, […] ich rufe ihn wieder, ich rufe ihn wieder: ‘Mamadou’, er antwortet nicht. Ich schlage ihn auch, ich sehe, dass er nicht atmet. Ich öffne seinen Mund. Als ich seinen Mund öffne, setze ich meinen Mund ein, ich pumpe, dann pumpe ich in seinen Mund. Ich denke, er atmet ein bisschen, er atmet nicht. Dann pumpe ich zum zweiten Mal ein bisschen. Als ich es zum zweiten Mal mache, hustet er ein bisschen. […] Jetzt atmet er, jetzt atmet er.“

Testimony 05.-08.12.2020 – Mare Liberum

Das folgende Testimony berichtet von einem brutalen Pushback am Grenzfluss Evros im Oktober 2020. Auch wenn es regional nicht in der Ägäis zu verorten ist, so zeigt es doch, wie systematisch Folter an der griechisch-türkischen Grenze eingesetzt wird.

„Sie haben alle 70 Leute in das Auto [Transporter] gepackt. Wir konnten eine Stunde lang nicht atmen. Mit diesem Auto fuhren sie zum Fluss. Wir stiegen aus dem Auto, während sie auf uns einschlugen. Wir waren ohne Kleidung, in unserer Unterwäsche, ohne Schuhe. Die ‘Kommandos’ [griechische Grenzpolizei] sagten uns, wir sollten uns in einer Reihe hinsetzen, den Kopf senken und sie nicht ansehen. Sie fragten, ob jemand Englisch spreche. Ich dachte, wenn wir kein Englisch sprechen, werden sie uns schlagen, aber wenn wir Englisch sprechen, weiß ich es nicht.

Ich sagte ihm: ‘Ja, ich spreche Englisch’. Er sagte mir, ich solle aufstehen und hielt eine Waffe an mein Auge. Er schrie: ‘Wenn du noch einmal nach Griechenland kommst, werde ich dich töten! Die Waffe hier. Sag deinen Freunden, dass ich dich töten werde! Ich bin von der Privatarmee in Griechenland! Wenn du wieder nach Griechenland kommst, werde ich dich töten!’ Die Waffe war auf meinem Kopf und meinem Auge und dann schlug er mich. Er schlug mich, schlug mich und sagte dann zu mir: ‘Jetzt will ich nicht dich schlagen, ich will diese bösen Flüchtlinge schlagen.‘ Ich glaube, er war ein Polizist, aber er hatte eine Maske auf und ich konnte nur sein Auge sehen. Er trug schwarze Handschuhe und Stiefel. Er war sehr groß. Ich bin 184 cm groß und er war größer als ich. Nachdem er mich geschlagen hatte, sagte er zu mir: “Setz dich auf die andere Seite und schau zu, wie ich deine Kollegen und Flüchtlinge schlage. Zwei ‘Kommandos’ auf jeder Seite, die alle Leute anschreien. In sein Auge, in sein Bein, in seine Hände, in seinen Kopf, sie schlugen ein oder zwei Stunden lang auf alle Menschen ein. Ja, auch die Frauen. Nur bei mir hat er die Waffe an mein Auge gehalten und mich nicht mit der Waffe geschlagen. Alle anderen Menschen schlug er auf die Beine und die Hände. Einem anderen hat er ins Auge geschlagen, ein anderer konnte nicht mehr atmen, ein anderer hat geschrien. Er sagte uns: “Wenn ihr noch einmal nach Griechenland kommt, werde ich euch töten! Wir werden euch töten!’ Wir waren etwa 80 Personen und auf jeder Seite standen zwei [Polizisten]. [Sie schlugen uns] eine oder zwei Stunden lang, ich weiß es nicht mehr.”

Testimony 13.10.2020 – Mare Liberum*

* Testimony durch Mare Liberum, bisher unveröffentlicht.

Mare Liberum i. A.

Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin