Die anfängliche Mutmaßung, dass COVID-19 alle gleich machen würde, stellte sich schnell als inkorrekt heraus, besonders aus Lesbos. Während Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht und Vermögen nicht biologisch bestimmen, wer sich am wahrscheinlichsten mit COVID-19 infiziert, bestimmen diese als soziale Faktoren wie komfortabel und effizient Menschen sich von einer Infizierung mit dem Virus schützen können.
Der Kontrast zwischen den Lebensunterschieden auf Lesbos zur Zeit der Corona Krise hätte nicht stärker sein können. Europäer*innen sorgten sich um die Einschränkung ihrer Privilegien, begrenzte medizinische Geräte und Gesundheitsversorgung. Diese Ängste sind, natürlich, begründet. Trotzdem bekommen „Existenzängste“ der Europäer*innen einen anderen Beiklang, wenn man diese mit den „Existenzängsten“ der Migrant*innen auf Lesbos vergleicht: weder die Infrastruktur Moria’s noch die Infrastruktur anderer Camps auf der Insel könnte einem Covid-19 Ausbruch standhalten.
Die strukturelle Ungleichheit zwischen Migrant*innen und Europäer*innen wurde stärker durch deren Behandlung nach Ankunft in Griechenland während der Corona Krise verdeutlicht. Während die konkreten Maßnahmen im Laufe der ersten Jahreshälfte 2020 sich immer wieder änderten, wurden Europäer*innen auf Staatskosten die ganze Zeit über in privaten Hotelzimmern untergebracht, erhielten drei Mahlzeiten am Tag und medizinische Versorgung während sie auf ihre COVID-19 Testergebnisse warteten. Des Weiteren durften Tourist*innen zu ihren Endreisezielen weiterreisen und sollten sich auf Eigeninitiative hin in Quarantäne begeben, nicht durch Zwang der Autoritäten. Migrant*innen, die ab März im Norden von Lesbos ankamen wurden in provisorischen Camps am Strand und in einem alten Fabrikgebäude untergebracht. Von April an wurden Migrant*innen im geschlossenen Quarantäne Camp „Megala Therma“ untergebracht. Im Laufe der letzten Wochen wurden weitere Quarantäne Camps an den Stränden der Nordküste errichtet.
Migrant*innen Camps heben im Wesentlichen die Freiheiten ihrer Bewohner*innen auf und machen diese damit ungleich gegenüber anderen Menschen. Die Einschränkung der Freiheiten wurde durch die Corona Maßnahmen massiv verstärkt. Einerseits bieten die Strukturen permanenter Camps wie Moria ihren Bewohner*innen nicht die Möglichkeit sich selbst zu isolieren um eine Infektion mit COVID-19 zu vermeiden: Da 15.000 Migrant*innen mit der Infrastruktur eines Camps leben was für 3.000 errichtet wurde, ist Privatsphäre nicht möglich. Ebenso könnten die unzureichende medizinische Versorgung und der Mangel an Wasser und hygienischen Einrichtungen einem Ausbruch von COVID-19 innerhalb des Camps nicht standhalten.
Anstatt permanente Camps aufzulösen und Migrant*innen zu erlauben sich selbst vor COVID-19 zu schützen haben die lokalen Behörden Quarantäne Camps errichtet, um zu verhindern, dass der Virus die permanenten Camps erreicht. Zunächst wurde behauptet, dass diese Quarantäne Camps als befristete Unterkunft für neu ankommende Migrant*innen dienen sollten, in welchen Migrant*innen auf COVID-19 getestet und nach einer 14 tägigen Quarantäne in ein permanentes Camp umgesiedelt werden sollten. Die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern, besonders in Migrant*innen Camps, ist natürlich wünschenswert.
Jedoch verschlimmert die Errichtung weiterer Migrant*innen Camps die ohnehin problematische und unmenschliche Behandlung von Migrant*innen. Während die Strategie der Behörden um (angeblich) die Verbreitung von COVID-19 in permanenten Camps zu verhindern signifikante strukturelle Probleme aufweist, hätte ihre Ausführung kaum schlimmer sein können.
Anstatt neu ankommenden Migrant*innen die Möglichkeit zu geben eine 14-tägige Quarantäne in menschenwürdigen Unterkünften mit ausreichender Versorgung an Wasser und Lebensmitteln und Zugang zu medizinischer Versorgung zu verbringen, förderten die lokalen Behörden die Verbreitung von COVID-19 innerhalb des Quarantäne Camps indem sie Migrant*innen in überfüllten Einrichtungen mit mangelhaften Hygieneeinrichtungen unterbrachten.
Eine Frau, die unter den Ersten war, die in das geschlossene Quarantäne Camp „Megala Therma“ gebracht wurden, erzählte uns über die Situation vor Ort: „Nach unserer Ankunft wurde uns gesagt, dass wir 14 Tage in dem Quarantäne Camp bleiben und danach nach Moria gebracht werden. Dennoch blieben wir in „Megala Therma“ für insgesamt 35 Tage ohne weitere Informationen zu erhalten, wann wir nach Moria gebracht werden. […] Am Tag unserer Ankunft wurden wir auf Covid-19 getestet. Aus unserer Gruppe erhielten alle negative Testergebnisse. Andere Migrant*innen Gruppen, die später ankamen, wurden auch auf COVID-19 getestet. Jedoch unternahmen die Behörden nichts um die Gruppen voneinander zu trennen, noch nicht einmal während sie auf die Testergebnisse warteten. Auch war es nicht möglich sich selbst aus Eigeninitiative selbst zu isolieren.“
Über die Einrichtungen und die Behandlung im Generellen, sagte sie, dass „Menschen immer zusammen waren. Zu einem Zeitpunkt gab es fünf positive COVID-19 Fälle innerhalb „Megala Thermas“. Trotzdem waren keine Ärzte vor Ort, noch hatten wir Zugang zu Medikamenten. […] Uns wurde eine Mahlzeit am Tag gegeben und eine Flasche Wasser. Da das Camp sehr abgelegen liegt, konnten wir keine zusätzliche Nahrung, Wasser oder Medizin kaufen.“
Die Person mit der wir gesprochen haben, war nur eine der momentan 162 Bewohner*innen „Megala Thermas“. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden vier weitere Quarantäne Camps an den Stränden errichtet, an denen Migrant*innen in den letzten Wochen angekommen sind: eines in Tsonia (38 Personen), eines in Mantamados (28 Personen) und zwei am Strand vor „Megala Therma“ (11 und 28 Personen). Während die Wohn- und Hygienesituation in „Megala Therma“ keinesfalls angemessen ist, sind diese Einrichtungen in den Strandcamps noch provisorischer. Migrant*innen, die in den Strandcamps untergebracht sind, wurden von den Behörden gezwungen am Strand zu bleiben während diese zum Teil mehrere Tage brauchten um Zelte aufzubauen und Dixi-Klos zu liefern.
Die lokalen Behörden auf Lesbos haben die Corona Krise nicht nur als Vorwand genutzt permanente Camps wie Moria unter Lockdown zu sperren, sondern auch um mehr geschlossene Camps zu errichten. Die Wohn- und Hygienesituationen in den Quarantäne Camps sind katastrophal und erhöhen das Risiko von COVID-19 Ausbrüchen. Es ist verachtenswert, dass Migrant*innen gezwungen werden in diesen gesundheitsschädlichen Bedingungen zu leben, besonders während einer Pandemie. Wir fordern angemessene Unterbringung für Migrant*innen, einschließlich ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser, angemessene Unterkünfte, ausreichende medizinische Versorgung und die Möglichkeit zur Selbstisolation. Wir fordern die Behörden auf nicht die Quarantäne Camps zu dem werden zu lassen, wovor sie angeblich den permanenten Camps schützen sollen: COVID-19 Hotspots.
Die Ausbreitung von COVID-19 zu stoppen und hinreichende medizinische Versorgung für COVID-19 Fälle bereitzustellen ist keine Frage der Möglichkeit, sondern eine Frage des politischen Willens . Behandelt Migrant*innen menschenwürdig!