Willkommen in Europa

Was erwartet Menschen, die es schaffen, die griechischen Inseln zu erreichen?

Nach jahrelangem Wegschauen seitens der EU und Griechenlands ist das Geflüchtetenlager Moria auf Lesbos in der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 komplett abgebrannt. Das ganze Ausmaß des verheerenden Brandes wurde einige Tage später sichtbar: Zelte, Container und sanitäre Anlagen waren größtenteils zerstört, rund 13.000 Geflüchtete waren ‚obdachlos‘ und harrten auf der Straße zwischen Moria und Mytilini unter katastrophalen Umständen aus. In den folgenden Tagen gab es weder genug Nahrung oder Wasser, noch irgendeine Art Schutz gegen die unerträgliche Sommerhitze.

Die einzige Reaktion der griechischen Regierung war die Errichtung eines neuen Lagers innerhalb kürzester Zeit auf einem Militärgelände. Es ist ein gefängnisähnliches, geschlossenes Lager, welches laut den griechischen Behörden als Übergangslösung gedacht ist. Hunderte Zelte stehen dicht an dicht und es mangelt, wie auch schon im ‚alten‘ Moria an allem: sanitären Anlagen, Nahrungs- und Wasserversorgung, medizinischer Betreuung und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.

Ein neues Lager. Ein Lager, welches mit Sicherheit scheitern wird. Nicht nur, weil es zu klein, zu unsicher, zu unhygienisch oder zu schlecht ausgestattet ist. Es wird mit Sicherheit scheitern, weil es ein weiterer Ort struktureller Gewalt, Entmenschlichung und Ungerechtigkeit ist. Es ist ein Ort, an dem buchstäblich alles passieren kann, weil es von der rechtlichen Ordnung ausgeschlossen ist. Er besiegelt das Schicksal so vieler Geflüchteter in Europa, die in einem schwebenden Zustand der Willkür festgehalten werden. Deshalb ist es das Lager selbst, das abgeschafft werden muss. Ein Lager kann und wird niemals ein sicherer Ort sein. Es als temporäre Konstruktion zu deklarieren, bedeutet, die gelebte Realität Geflüchteter in Griechenland seit Jahren zu leugnen. Die Ausnahme ist bereits zur Regel geworden. Der Ausschluss ist nicht vorübergehend, er ist politisch gewollt.

“Ich weiß nicht, ob es besser oder schlechter ist.”

“Es ist dasselbe.”

“Es ist ein anderes Lager.”

Ich weiß nicht, ob es besser oder schlechter ist, es ist dasselbe. Es ist ein anderes Lager”, sagt Fatima, ein 15-jähriges Mädchen aus Afghanistan. Ihre Eltern lebten in ihrem Alter in einem Lager nahe der iranischen Grenze. Jetzt teilen sie und ihre Verwandten ein Zelt – seit mehr als einem Jahr. Die wenigen Dinge, die sie besaß, verbrannten im Feuer. Sie hatten eine lange Reise vor sich, bevor sie Lesbos erreichten: Afghanistan – Iran – Türkei – Griechenland.

Letztlich war und ist Moria ein politisch organisiertes Menschenrechtsverbrechen, das auch nach der Zerstörung des physischen Lagers und in dem neuen Lager fortbesteht. Die Bereitstellung von Nahrung, Wasser und Unterkunft ist wichtig, aber nicht ausreichend. Es braucht keine Verbesserung von etwas, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben zu führen ist ein Menschenrecht, welches in Lagern nicht gegeben sein kann. Ein neues Lager auf Lesbos, auf dem griechischen Festland oder anderswo kann deshalb keine Lösung sein.

Die Geflüchteten auf Lesbos brauchen politische Solidarität, die nur durch politische Aktionen zum Ausdruck gebracht werden kann! Es gibt unzählige Morias in ganz Europa, auf der ganzen Welt und sie gehen uns alle etwas an.

© Photos: Arian Henning / Mare Liberum

Mare Liberum

In der Ägäis finden täglich Menschenrechtsverletzungen statt. Seit 2018 beobachtet Mare Liberum e. V. die Menschenrechtssituation auf Lesbos und in der Ägäis. Ziel ist, die Beobachtung und Dokumentation, sowie die öffentliche Aufmerksamkeit auf die gefährliche Situation an der europäischen Grenze zwischen der Türkei und Griechenland zu lenken. Wir brauchen deine Hilfe, um das öffentliche Bewusstsein zu erhöhen, kollektives Handeln zu fördern und letztlich die Standards für die Achtung und den Schutz der Menschenrechte in Europa zu stärken.

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