Anfang Juli kamen sechs Aktivist*innen zusammen, um mit der „Mare Liberum 2“ eine Testmission in der Ägäis zu unternehmen. Nach den Razzien, Kriminalisierungsversuchen und faschistischen Angriffen auf das Schiff „Mare Liberum 1“ im Sommer 2020 war die kleine NGO nicht mehr auf See im Einsatz.

Ziel dieser Testmission war es, ein besseres Verständnis für die operativen Herausforderungen zu entwickeln und sich mit Schutzsuchenden und Solidaritätsnetzwerken (über unterschiedliche Bedürfnisse und gemeinsame Projekte) auf den verschiedenen Inseln in der Ägäis auszutauschen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war, die Situation in anderen Hotspots der Inseln zu beleuchten, da sich das Medieninteresse weiterhin auf Moria 2.0 konzentriert. Die Mission führte das Team von Menschenrechtsverteidiger*innen von Lesbos nach Samos, Chios und zurück nach Lesbos.

Auf den Inseln haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, Menschen auf der Flucht, lokale Aktivist*innen, kleine NRO-Akteur*innen und Netzwerke zu treffen, die sich gegen die Kriminalisierung von Migration und Solidarität einsetzen. Unter anderem trafen wir das wunderbare „Projekt Armonia“, das viele bedürftige Menschen mit Lebensmitteln versorgt, sprachen mit „Salvamento Maritimo Humanitario“ über ihre medizinische Unterstützung auf Chios und mit dem „Hope Project“ über ihren Kunstraum für Menschen, die auf Lesbos festsitzen. Wir trafen Rechtsnetzwerke und Beraterinnen von „Equal Rights Beyond Borders“, „Refugee Law Clinic“ und dem „Human Rights Legal Project“. Wir besuchten den Schutzraum für Frauen „Glocal Roots“, das „We Are One Center Samos“ und die Gründer*innen der wunderbaren „Stop Pushbacks Campaign“.

Wir haben Freund*innen gefunden, die auf Inseln festsitzen, wie Shaker, dessen Geschichte wir vor einigen Wochen veröffentlicht haben, und Ahmad, ein Videoproduzent und Fotograf, der mit den Kindern in Camp Vathy arbeitet. Viele Freundinnen, die wir trafen, stecken in der Schwebe langwieriger Asylverfahren fest, die sich oft über Jahre hinziehen – ein zermürbender Prozess, der den Menschen Lebenszeit raubt und alle Träume und Perspektiven überlagert.

Was auffiel, war die sehr gegensätzliche Infrastruktur der Solidarität auf den Inseln. Während wir im Zentrum von Samos viele NROs sehen, gibt es auf Chios fast keine. Aber warum? Wir glauben, ein entscheidender Aspekt ist die Nähe im täglichen Leben. Während sich das Lager auf Samos direkt neben dem Stadtzentrum von Vathy befindet, sind die Menschen auf Chios im Lager Vial weit weg vom Zentrum eingeschlossen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dies ist ein erschreckendes Bild, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Europäische Union im vergangenen Jahr 270 Millionen Euro in den Bau neuer Hotspot-Lager auf Samos, Leros, Kos, Chios und Lesbos investiert hat. Neue Lager, die noch isolierter, abgeriegelter und weiter von den Städten entfernt sein werden.

In dem Zeitraum unserer Mission unserer Mission kamen etwa 100 Menschen auf den ägäischen Inseln an, während gleichzeitig etwa 500 Menschen illegal in türkische Gewässer zurückgedrängt wurden. Wir wurden auch über Menschen informiert, die sich in den Wäldern verstecken, weil sie Angst haben, nach ihrer Ankunft auf griechischem Boden zurückgeschoben zu werden. Begründete Angst, denn wie wir wissen, ist es inzwischen gängige Praxis, Menschen in Rettungsinseln zurückzudrängen, um sie in türkisches Hoheitsgebiet zu schleppen – eine Verletzung der Grundrechte, während Europa gerade 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonventionen gefeiert hat.

Auf dem Weg zwischen den Inseln begegneten wir zahlreichen Patrouillenschiffen der griechischen und türkischen Behörden sowie Frontex. Die Militarisierung der europäischen Außengrenze ist ständig sichtbar und prägt die Atmosphäre auf den Inseln der Ägäis und auf See. Der Ausbau der neuen, geschlossenen Lager, die täglichen Pushbacks und die zunehmende Kriminalisierung von Migration sind höchst alarmierend. Umso mehr freut es uns, dass wir so viele Menschen getroffen haben, die ihre Rechte einfordern oder solidarisch zusammenstehen und sich mit uns gegen die Festung Europa stellen.

Mare Liberum i. A.

Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin