Selbstorganisation in Moria

Seit 2016 sind viele Flüchtende gezwungen, in Moria zu bleiben, um monatelang, manchmal sogar jahrelang, auf ihre Asylentscheidungen zu warten. Mit der Zeit eröffneten die Menschen an den Hauptstraßen der Lager Geschäfte: Hier finden sich Menschen, die Gemüse und Obst, Milch, Reis, Brot, Snacks, Fleisch, aber auch Fahrräder, elektronische Geräte oder Holz, Blech und andere Materialien zum Bau kleiner Hütten verkaufen. Es gibt sogar Menschen, die alle Arten von authentischen Lebensmitteln anbieten. In Moria gibt es Bäckereien und Friseurläden. Je länger Geflüchtete gezwungen sind, im Lager zu warten, desto mehr wächst die selbstorganisierte Infrastruktur. So errichteten die Menschen im Lager Moscheen, aber auch Kirchen und andere Gebetsstätten.

© Photos: Mare Liberum

Omid [drittes Foto, links], ein Apotheker aus Afghanistan, ist Teil des Corona Awareness Teams. Innerhalb weniger Wochen informierten sie die Bewohner:innen von Moria über das neue Virus und richteten Strukturen ein, um mit einem möglichen Ausbruch innerhalb des Geflüchtetenlagers fertig zu werden: “Die einzige Forderung, die alle Menschen hier haben, ist, dass sie von hier aus an einen guten und sicheren Ort ziehen wollen – an ‘einen etwas europäischen Ort’. Nichts hier ist europäisch, aber wir sind in Europa. Niemand will hier bleiben, aber die Menschen sind gezwungen zu bleiben, und sie wissen nicht, für wie lange. Das Einzige, was sie wissen, ist, dass “wir noch eine Weile hier sein werden”. Sie sollten also die Chance haben, etwas für sich aufzubauen, sich zu organisieren. Um am Leben zu sein, um zu überleben.”

“Die Menschen hier schaffen diese Zelte, diese Strukturen, diese Moscheen, diese Geschäfte, diese Bäckereien, all das haben sie selbst gemacht. Sie schufen ein Team, um auf das Coronavirus aufmerksam zu machen und Ratschläge zu erteilen. Die Menschen hier warten nicht auf andere, auf NGOs, die kommen und helfen. Dass sie kommen und ihre Toiletten reinigen. Nein, diese Menschen sind in der Lage, etwas für sich selbst zu bauen, auf eigenen Füßen zu stehen, wenn sie nur die Möglichkeit dazu und die Unterstützung dafür bekommen”.

© Photos: Mare Liberum

Gegenwärtig leben etwa 15.000 Migrant:innen in Moria und die meisten von ihnen sind gezwungen, im so genannten “Dschungel” zu leben – ohne richtige Wasserversorgung, Kanalisation oder Müllabfuhr. Natürlich türmt sich innerhalb und außerhalb des Lagers eine Menge Müll auf, aber eine Gruppe von Menschen weigerte sich, dies zu akzeptieren. Vor einigen Monaten begannen die “Moria White Helmets” mit der Säuberung des Lagers: Etwa 100 Bewohner:innen Morias sammeln den Müll in den Zonen 10 bis 12 und bringen ihn mindestens dreimal pro Woche auf die Mülldeponie.

Raed [fünftes Foto], aus Syrien, ist einer von ihnen: “Wenn Sie uns fragen, warum wir das tun, ist die Antwort, dass wir es als unsere Pflicht ansehen, uns selbst und die Menschen um uns herum zu schützen. Wir tun dies zu unserer eigenen Sicherheit und zum Schutz der Umwelt. Wir hoffen, dass unsere griechischen Brüder unsere Arbeit respektieren. Wir sind bereit, unsere Arbeit auch außerhalb des Lagers fortzusetzen”.

“Wir warten darauf, wie wir sterben können. Wir verdienen es, wie Menschen behandelt zu werden, und wir fordern die Europäische Union auf, uns zu helfen: Die Flüchtlinge aus Moria zu evakuieren und sie in ihren Ländern aufzunehmen!”

© Photos: Mare Liberum

Jeden Samstagmorgen baut eine Gruppe von Freiwilligen Zelte und kleine Pavillons neben dem Olivenhain von Moria auf: die Samstagsschule. Zwischen 150-300 Kinder ab zwei Jahren besuchen den Unterricht und die Spiele, die von älteren Migrant*innen selbst organisiert werden. Die Gruppe traf sich früher in der “International School of Peace”, bevor diese Anfang dieses Jahres abgebrannt ist. Bis sie einen neuen Platz für die Schule gefunden haben, haben sie provisorisch Zelte in der Nähe von Moria aufgestellt.

“Die Kinder in Moria haben sich nicht entschieden, hierher zu kommen”, erzählt uns einer der Lehrer. “Ihre Eltern haben sich für sie entschieden, und jetzt wachsen sie hier ohne Ausbildung auf. Wir müssen einigen Kindern jede Woche das Alphabet beibringen, weil sie außerhalb der Samstagsschule nicht die Möglichkeit haben, zu lernen. Das liegt daran, dass sie nicht oft genug zum Unterricht gehen können, aber auch daran, dass sie neben der Sorge um ihre Ausbildung noch viele andere Probleme in ihrem Leben haben.”

Die Samstagsschule ist nicht nur eine Gelegenheit zum Lernen, sondern auch eine großartige Gelegenheit für die Kinder, Kontakte zu knüpfen und für ein paar Stunden ihre Realität in Moria zu vergessen. Auch wenn die Selbstorganisation der Migrant*innen sehr inspirierend und bewundernswert ist, sollten sie sich nicht darum kümmern müssen, die Bildung für die Kinder in Moria zu organisieren. Wir fordern die griechischen Behörden nachdrücklich auf, eine angemessene Ausbildung für alle Kinder zu organisieren!

© Photos: Anne Barth / Mare Liberum

Kinder, die in Moria oder anderen EU-Hotspots in Griechenland leben, dürfen nicht am regulären Schulbetrieb teilnehmen. Auch in den Geflüchtetencamps selbst gibt es keine formale Schulbildung, dabei müssen Kinder oft Monate oder Jahre in diesen Camps leben: Ohne Zugang zu Bildung!

Alleingelassen durch Griechenland und die EU organisieren sich Flüchtende selbst um Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen. Die Wave of Hope for the Future Schule ist so ein selbstorganisiertes Projekt sowohl für Kinder als auch für Erwachsene.

Azam ist einer der Lehrer. Er unterrichtet Deutsch in der Schule:

„Es ist schwierig, in solch einem Camp zu leben. Wir haben etwas anderes erwartet. Ich werde jeden Tag müder. Es wird schwerer aufzustehen. Wenn Flüchtlinge Griechen begegnen sind diese sehr aggressiv und wollen nichts mit uns zu tun haben.”

“Die Schule ist für mich alles. Sie ist wunderbar. Weil wir den ganzen Tag nichts zu tun haben ist das die einzige Möglichkeit sich mit anderen Menschen zu treffen und auch zusammen etwas zu lernen. Selbst-Organisation ist einfach schön und es bedeutet mir sehr viel, selbst etwas tun zu können.”

„Wir dürfen nichts machen: nicht arbeiten, nicht das Camp verlassen, also spazieren gehen, einkaufen gehen… Deswegen werden viele krank, verrückt! Ihr wisst doch dass hier viele Frauen und Kinder sind… Wir haben keine Zukunft. Trotzdem müssen wir durchhalten.”

© Photos: Anne Barth / Mare Liberum

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