Illegale Abschiebungen, mangelnder Schutz und prekäre Lebensbedingungen sind Alltag für Geflüchtete in der Türkei. Dennoch stufen die griechischen Behörden die Türkei als “sicher” für Geflüchtete ein. Warum die Türkei kein sicherer Drittstaat ist.
Ende März 2022 hat die Türkei 200.000 Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und dem Irak illegal in syrische Provinz Idlib abgeschoben. Dies ist nicht der erste Bericht über illegale Abschiebungen aus der Türkei in Bürgerkriegsländer. Seit Jahren werden immer wieder Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan dokumentiert. Damit verstößt die Türkei gegen das völkerrechtlich verankerte Refoulement-Verbot, welches die Abschiebung von Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, untersagt.
Dennoch erklärte Griechenland die Türkei im letzten Jahr pauschal für Schutzsuchende aus fünf Ländern zu einem sicheren Drittstaat. Das ermöglicht den griechischen Behörden Schutzsuchende systematisch ohne Prüfung des Antrags auf Asyl in die Türkei abzuschieben.
Das Konzept des Sicheren Drittstaates
Gemeinsam mit der EU setzt Griechenland seit 2016 alles daran Schutzsuchenden den Zugang zu einem Asylverfahren in Griechenland zu verwehren. Wegen der systematischen Durchführung von illegalen und brutalen Pushbacks unter Einsatz von Demütigung, Gewalt und Folter durch die griechische Küstenwache als Hauptakteurin, die europäische Grenzschutzagentur Frontex und Schiffe unter Nato-Kommando schaffen es mittlerweile nur noch wenige Geflüchtete Griechenland zu erreichen.
Als wäre diese menschenverachtende Praxis nicht genug, wurden gleichzeitig im Rahmen des Deals zwischen der EU und der Türkei zahlreiche rechtliche Maßnahmen in Griechenland ergriffen, um Schutzsuchenden, die es trotz der hochmilitarisierten Grenzen auf die griechischen Inseln schaffen, den Zugang zu einem Asylverfahren in der EU zu verwehren. Hierzu zählt die Einführung des sogenannten Zulässigkeitsverfahrens: Bevor Geflüchtete einen Asylantrag in Griechenland stellen können, wird geprüft, ob die Türkei für sie als ein sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Nur wenn die griechischen Behörden entscheiden, dass die Türkei für die antragstellende Person nicht als “sicher” angesehen wird, kann der eigentliche Antrag auf Asyl geprüft werden. Seit 2021 gilt das Konzept pauschal für alle schutzsuchenden Menschen aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Pakistan und Bangladesch, auch rückwirkend für Menschen, die bereits einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Personen, auf die dies zutrifft, schiebt Griechenland in die Türkei ab. Schutzsuchende werden so erneut um ihr Recht auf Asyl beraubt. Obwohl die Abschiebungen im Rahmen des EU-Türkei-Deals von Griechenland in die Türkei seit März 2020 von Seiten der Türkei ausgesetzt sind, werden die Menschen, die Griechenland bereits erreicht haben, in der Praxis weiterhin der Schwebe gehalten.
Mangelnder Schutz und prekäre Lebensbedingungen
Ein Rechtsgutachten, das im Auftrag von Pro Asyl durchgeführt wurde, kam bereits im Jahr 2016 zu dem Ergebnis, dass die Türkei von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten nicht als sicherer Drittstaat behandelt werden darf. Für die Anwendung des Konzeptes fehlt es an der zwingenden Voraussetzung der Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). In der Türkei gilt diese nur mit geographischem Vorbehalt – für Geflüchtete aus Europa. Personen, die bspw. aus Syrien, Irak oder Afghanistan flüchten, wird lediglich ein „bedingter Flüchtlingsstatus“ eingeräumt. Dadurch werden ihnen weniger Rechte als „Flüchtlingen“ nach GFK und insbesondere nicht das Recht auf Familienzusammenführung gewährt.
Auf dem Papier können syrische Staatsbürger:innen seit 2016 “vorübergehenden Schutz” in der Türkei beantragen. Auch dieser “Schutzstatus” ist ein Ergebnis des EU-Türkei-Deals. Die EU hat für die Umsetzung sechs Milliarden Euro an die EU der Türkei, zur “Versorgung der Geflüchteten” gezahlt, mit dem Ziel die Fluchtbewegung nach Griechenland einzudämmen. Aktuell leben 3,75 Mio. syrische Geflüchtete unter diesem Schutzstatus in der Türkei. Für Geflüchtete aus anderen Ländern besteht die Möglichkeit „internationalen Schutz“ zu beantragen. Seit 2016 wurden in der Türkei mehr als 410.000 Anträge auf Internationalen Schutz gestellt. Vor allem von Menschen aus Afghanistan, Irak und Iran. Über die Anzahl der positiven oder negativen Entscheidungen macht die Türkische Generaldirektion für Migrationsmanagement keine öffentlichen Angaben. Die Asylverfahren sind sehr intransparent gestaltet, die Menschen warten monatelang auf die Bearbeitung ihres Antrages und negative Entscheidungen werden zum Teil nicht begründet.
Eine Registrierung ist für Schutzsuchende zwingend notwendig, da ihr Aufenthalt in der Türkei ansonsten als illegal gilt. Es gibt zahlreiche Berichte, dass viele Stellen für die Registrierung aufgrund der hohen Nachfrage geschlossen worden sind, sodass eine Registrierung für viele Menschen gar nicht erst oder nur erschwert möglich ist. Nicht-registrierte Personen sind konstant von Inhaftierung oder Abschiebung bedroht. Ohne Ausweis erhalten sie zudem keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung oder Sozialhilfe.
Nach erfolgreicher Registrierung wird den Geflüchteten eine Provinz zugewiesen, in der sie sich stets aufhalten müssen. Ein unerlaubter Aufenthalt in anderen Provinzen, kann ebenfalls zur Inhaftierung oder Abschiebung führen. In der Türkei gibt es sieben Unterkunftszentren für Syrer:innen mit temporärem Schutz, dort sind etwa 50.000 Menschen untergebracht. Alle anderen Geflüchteten leben außerhalb der offiziellen Einrichtungen. In der Türkei haben Schutzsuchende keinen Anspruch auf staatliche Unterbringung oder Zugang zu Sozialwohnungen. Der größte Teil der Menschen ist daher gezwungen unter prekären Bedingungen in selbst gebauten Hütten, Zelten oder auf der Straße zu leben.
Seit 2016 erteilt die Türkei Arbeitsgenehmigungen für Menschen unter temporärem Schutz und internationalem Schutz. Allerdings haben von den 3,6 Millionen in der Türkei lebenden Syrer:innen sehr wenige tatsächlich eine Arbeitserlaubnis erhalten. Dies führt dazu, dass der größte Teil der Geflüchteten gezwungen ist im informellen Sektor unter ausbeuterischen Bedingungen nach Arbeit zu suchen. So arbeiten viele Geflüchtete beispielsweise unter extrem gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen in der türkischen Recyclingbranche. Die Situation erhöht das Risiko Verhaftungen und Abschiebung ausgesetzt zu werden und macht es den Arbeiter:innen quasi unmöglich die teils unmenschlichen Arbeitsbedingungen anzuzeigen.
Da die türkischen Behörden keine Statistiken über die Abschiebungen veröffentlichen, bleibt es schwierig nachzuvollziehen, wie viele Menschen tatsächlich inhaftiert und abgeschoben werden. Laut detaillierten Zeug:innenaussagen werden die meisten Abschiebungen jedoch als „freiwillige Rückkehr“ deklariert. Sicherheitsbeamt:innen verleiten oder zwingen Menschen in der Haft ein Formular zu unterschreiben, das besagt, dass sie eine freiwillige Ausreise wünschen. Unter dem Deckmantel der “freiwilligen Rückkehr” werden die Menschen dann in Krisenregionen wie Syrien oder Afghanistan abgeschoben. Es gibt nur einen eingeschränkten Zugang zu Informationen, Rechtsvertretungen und wirksamen Rechtsbehelfen gegen die Entscheidungen der türkischen Behörden.
Fazit: Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat
Alle Geflüchteten, die von Griechenland in die Türkei abgeschoben werden, sind der Gefahr von Kettenabschiebungen ausgesetzt. Diese illegalen Abschiebungen, prekären Lebensbedingungen und die staatliche Willkür, machen mehr als deutlich dass die Türkei weder auf der rechtlichen Ebene noch in der Realität ein sicherer Drittstaat für Schutzsuchende ist. Vor allem durch die fehlende Transparenz im Umgang mit Geflüchteten, Abschiebungen und Inhaftierungen wird die Türkei zur Blackbox. Die Externalisierung der Grenze in die Türkei durch die EU muss beendet werden. Griechenland muss die Entscheidung, die Türkei als sicheres Drittland einzustufen, zurücknehmen!